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Berliner Morgenpost: Der Mut der Afghanen verpflichtet den Westen - Leitartikel

Berlin (ots)

Von einer Erwartungshaltung gilt es auch nach der
zweiten freien Wahl in Afghanistan endgültig Abschied zu nehmen: Eine
Demokratie nach westlichem Vorbild wird das Land am Hindukusch 
niemals. Dafür spricht weniger der schon entbrannte heftige Streit 
zwischen dem amtierenden Präsidenten Hamid Karsai und dessen 
schärfstem Herausforderer Abdullah Abdullah über den Wahlsieger, kaum
dass die Abstimmungsörtlichkeiten geschlossen und belastbare 
Teilergebnisse vorgelegen hatten. Entscheidend ist, dass das Land von
Stammesstrukturen und ethnischen Unterschieden geprägt ist, die mit 
den demokratischen Prinzipien des Abendlandes allenfalls partiell zu 
vereinbaren sind. Ist der Einsatz der westlichen Militärmaschinerie 
doch ein aussichtsloses, deshalb abzubrechendes Engagement?
Die Antwort kann nur wieder ein klares Nein sein. Die auch nach 
Angaben der unabhängigen Wahlbeobachter beachtlich hohe 
Wahlbeteiligung allen Drohungen und Angriffen der Taliban zum Trotz 
sollte selbst die schärfsten Kritiker des Bundeswehreinsatzes 
nachdenklich stimmen. Mit ihrer Stimmabgabe unter Lebensgefahr haben 
Millionen Afghanen - Männer wie Frauen - ihren Willen bekundet, die 
Lebensbedingungen im Lande nicht ein zweites Mal von den 
Gotteskriegern der Taliban um Jahrhunderte zurückdrehen zu lassen. 
Die Mehrheit der Afghanen hofft weiter, dass sie sich endlich sicher 
in Stadt und Land bewegen können, die wirtschaftliche Entwicklung 
Fortschritte macht und Lernen für Jungen wie Mädchen nicht länger 
Ausnahme, sondern Selbstverständlichkeit wird.
Selbst wenn die Wahl nicht allen westlichen Ansprüchen genügte, kommt
die angesichts der Umstände überraschend starke Beteiligung an ihr 
einem einzigen Hilferuf gleich: Internationale Isaf-Truppe und 
Entwicklungshelfer aus den wohlhabenden Ländern - verlasst uns nicht;
lasst uns nicht im Stich. Auch für Deutschland kann das nur bedeuten:
Statt über einen überstürzten Rückzug zu diskutieren und damit die 
Taliban nachträglich doch noch zum eigentlichen Sieger der Wahl zu 
machen, muss auch die Bundeswehr entschlossener als bislang den Kampf
zur Befriedung des Landes annehmen. Patrouillenfahrten, selbst wenn 
sie nicht ungefährlich sind, reichen nicht aus, um das Land zu 
stabilisieren. Und begrenzte Offensiven wie bislang verpuffen allzu 
schnell wieder, wenn die "gesäuberte Region" nicht dauerhaft 
gesichert wird. Das klingt martialisch. Ist aber strategisch 
dringlich. Sonst scheitert die Bundeswehr am Hindukusch. Parallel 
dazu muss der Aufbau einer verlässlichen heimischen Armee und 
Polizeitruppe beschleunigt werden. All das zusammen schafft die 
Voraussetzung, dass sich Afghanistan allein gegen seine Feinde 
verteidigen kann. Nur dann wird das Land kein erneutes 
Ausbildungscamp für Terroristen, die im Westen bomben und töten. 
Schließlich wird allein so ein zeitnaher Rückzug aus Afghanistan 
möglich.
Der mutige Wahlgang so vieler Afghanen sollte auch Deutschland 
bestärken, mehr Mut als bislang am Hindukusch zu zeigen.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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