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Berliner Morgenpost: Hintze, Ypsilanti und das letzte Tabu - Leitartikel

Berlin (ots)

Das Dilemma dieser nun schon seit gefühlten
Ewigkeiten geführten Debatte über Rot-Rot, also über das gemeinsame 
Regieren zweier Parteien mit sehr ähnlichen politischen Denkmustern, 
sehr ähnlicher Klientel, sehr ähnlichen Feindbildern, sehr ähnlichen 
Vorstellungen von Gut und Böse, von gerecht und ungerecht, von 
solidarisch und unsolidarisch, das wahre Dilemma dieser Debatte ist, 
dass sie immer angespannt, immer heuchlerisch, immer mit großem Furor
und eben nie ehrlich geführt wird. Nicht intern, also innerhalb 
dieser beiden politischen Gruppierungen, und auch nicht extern, also 
immer dann, wenn diese Debatte von außen, vom politischen Gegner an 
die beiden Parteien herangetragen wird. Für Letzteres steht 
exemplarisch die ziemlich dämliche Rote-Socken-Kampagne des 
ehemaligen CDU-Generalsekretärs Peter Hintze, für Ersteres das 
unsägliche Schauspiel, das die hessische SPD um ihre damalige 
Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti vor Jahresfrist aufgeführt hat. 
Ein politischer Totentanz, dessen Bedeutung für den Zustand der SPD 
im Bundestagswahlkampf 2009 eine gar nicht zu überschätzende Wirkung 
hat. Das absehbare Desaster der Sozialdemokratie nahm im Keller des 
Hamburger Rathauses seinen Lauf, als Kurt Beck ohne Not eine Debatte 
über, richtig, Rot-Rot, entfachte.
Das ist ein bisschen ungerecht, weil Beck in diesem Moment vermutlich
ehrlicher und ungeschützter über aus seiner Wahrnehmung eigentlich 
Selbstverständliches sprach, dass nämlich die SPD, zunächst auf 
Landesebene, in Zukunft nur dann Mehrheiten jenseits einer großen 
Koalition wird organisieren können, wenn sie sich in Richtung 
Linkspartei öffnet. Und dass man, um diese Machtoption eines Tages 
auch auf die Bundesebene übertragen zu können, damit demnächst mal 
anfangen müsste.
Man mag diese Zwangsläufigkeit bedauern, bekämpfen, bejammern, aber 
an der Richtigkeit der beckschen Analyse beißt die Maus keinen Faden 
ab. Die Geschichte ist nun mal so gelaufen im Nachwende-Deutschland, 
wobei das Tempo, in dem die SED-Nachfolger im Westen salonfähig 
wurden, durch den Seitenwechsel des ehemaligen SPD-Chefs Oskar 
Lafontaine enorm beschleunigt wurde, auch wenn die Person Lafontaine 
selbst eher als Hemmnis denn als Katalysator dieses am Ende 
unvermeidbaren Bündnisses zwischen SPD und PDS (offiziell: die Linke)
wirkt. Vielleicht hatte in diesem Zusammenhang auch das hessische 
Drama sein Gutes für alle Seiten.
Heiko Maas im Saarland jedenfalls und auch Christoph Matschie in 
Thüringen vermeiden jedes hohle "Niemals mit der Linken"-Gelübde, mit
dem Ypsilanti in ihren Wahlkampf aufgebrochen war. Stattdessen 
treiben beide SPD-Spitzenkandidaten diese Option mit dem 
offensichtlichen Segen des Kanzlerkandidaten voran. Die Wähler in 
Thüringen und im Saarland haben somit zumindest die Chance, zwischen 
zwei ausreichend unterscheidbaren politischen Lagern zu entscheiden. 
Auf der Bundesebene muss man auf Klarheit dieser Art leider 
verzichten. Dort wird weitergeheuchelt, oder zurückhaltender 
ausgedrückt: Dort gilt die rot-rote Verzichtserklärung, das letzte 
Tabu. Noch.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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