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Berliner Morgenpost: Die Bundeswehr hat ihre Unschuld verloren - Leitartikel

Berlin (ots)

Es gehört zu den gespenstischen Zynismen der
Demokratie, dass ein Bombenangriff mit vielen Toten in der Hochphase 
des Bundestagswahlkampfes gnadenlos instrumentalisiert wird. Nicht 
jeder, der Pietät im Blick führt, verhält sich auch entsprechend.
Es gehört auch zu den brutalen Realitäten eines Wahlkampfes, dass 
sich die Akteure nicht länger hinter ihren Watte-Wänden ducken 
können. Das Thema Afghanistan, von beiden Volksparteien einträchtig 
klein gehalten, ist unversehens auf der Agenda; vielleicht nicht mit 
der wahlentscheidenden Wucht, die Schröders Nein zum Irak-Krieg 2002 
entfachte, aber doch wichtig genug, dass dem Wähler gute Argumente 
präsentiert werden müssen. Wer mit strategischen Patentrezepten und 
moralischem Allwissen daherkommt, will vor allem Stimmung machen.
In unübersichtlicher Lage ist zumindest so viel klar: Die Bundeswehr 
hat ihre Unschuld verloren. Mit den Abwürfen zweier 200-Kilo-Bomben 
am vergangenen Freitag, die offenbar von deutschen Soldaten auf 
welcher Informationsgrundlage auch immer bestellt worden waren, ist 
der Traum von den guten Onkels zerstoben, die nur Brunnen bohren und 
Schulen streichen.
Zum ersten Mal seit dem Eintritt deutscher Truppen in internationale 
Konflikte vor zehn Jahren ist Bundeswehrsoldaten womöglich ein Fehler
von dramatischer Größenordnung unterlaufen. Die Nato-Partner dürften 
nicht ohne tückische Genugtuung registrieren, dass die deutschen 
Saubermänner nun endlich angekommen sind auf dem Schlachtfeld 
Afghanistan.
Mag die Bundesregierung auch semantische Akrobatik vollführen, warum 
dieser Einsatz auf keinen Fall "Krieg" genannt werden darf, so ist 
doch klar, dass alle Schmutzigkeiten eines Krieges gegeben sind. Dazu
gehört auch, dass die Nato-Partner schnell bei der Hand waren, die 
Verantwortung für das Bombardement nach Berlin zu schieben.
Zu klären ist, ob Verteidigungsminister Franz Josef Jung über die 
nötige internationale Härte verfügt, die Bundesrepublik in diesem 
unschönen Spiel namens "blame game" zu vertreten. Während sich 
US-Oberbefehlshaber McChrystal bereits beim afghanischen Präsidenten 
Karsai entschuldigte, ließ Jung noch vergeblich streuen, es seien 
wohl keine Zivilisten getötet worden. Guter Stil sieht anders aus.
Offenbar waren US-Offiziere ebenfalls schneller, als es darum ging, 
den Schuldigen zu benennen. Während Deutschland noch rätselte, 
lieferte die "Washington Post" bereits die amerikanische Version der 
Wahrheit. Demnach trägt alle Schuld allein ein deutscher Oberst. Das 
ist schon deswegen Unsinn, weil der Bundeswehreinsatz auf einem 
Parlamentsbeschluss fußt, den die Mehrheit der deutschen Abgeordneten
trägt. Diese Parlamentarier wiederum sind vom Volk gewählt.
Wir Deutschen können den Afghanistan-Einsatz weder an die Nato 
delegieren noch an die Bundeswehr. Es ist unser aller Krieg, 
demokratisch legitimiert. Alle damit verbundenen Dilemmata sind aus 
der deutschen Geschichte hinreichend bekannt.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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