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Berliner Morgenpost: Obamas kluger Verzicht auf den Raketenschirm - Leitartikel

Berlin (ots)

Amerika ist dabei, sein durch George W. Bush arg
ramponiertes Ansehen wieder aufzupolieren. Das ist, überfällig und 
nicht ganz überraschend zugleich, Nachfolger Barack Obama zu 
verdanken. Jetzt hat der Präsident die meisten Europäer mit der 
Ankündigung erfreut, auf das umstrittene Raketenabwehrsystem mit den 
zwei Stützpfeilern in Tschechien und Polen zu verzichten, das Amerika
vor atomaren Überraschungsangriffen des Iran und Nordkoreas schützen 
sollte. Eine richtige Entscheidung.
Natürlich hat Obama die zumindest mittelfristige Kehrtwende gegenüber
den Plänen seines Vorgängers weniger zur Imagepflege seines Landes, 
sondern vorrangig aus rüstungstechnischen, geostrategischen und 
politischen Gründen vollzogen. Ähnlich wie einst die kühnen 
Star-Wars-Pläne des Präsidenten Ronald Reagan zur Abwehr sowjetischer
Raketen während des Kalten Kriegs ist auch der Schutzschirm gegen die
potenzielle atomare Bedrohung durch die Atomzwerge Iran und Nordkorea
technisch noch längst nicht ausgereift. Sündhaft teuer und umstritten
auch in Amerika selbst ist er dazu. Fraglich bleibt allerdings, ob 
die iranische Rüstung wirklich doch noch so rückständig ist, wie es 
der US-Geheimdienst jetzt - anders als noch vor Monaten - behauptet. 
Der Verdacht, dass die CIA die Lageberichte den Wünschen des 
jeweiligen Präsidenten angepasst hat, liegt nicht ganz fern.
Wie auch immer - Obama hat sich neuen Verhandlungsspielraum 
verschafft. Gegenüber dem Iran hat er guten Willen gezeigt, bevor am 
1.Oktober bei den UN in New York mit Teherans 
Chefunterhändler über das Nuklearprogramm des Ayatollah-Regimes 
verhandelt werden soll. Außerdem hat der US-Präsident das wieder arg 
verkrampfte Verhältnis zu Moskau wirksam entspannt. Putin und 
Medwedjew können nicht länger wider besseres Wissen behaupten, der 
Raketenschild sei in Wahrheit nicht gegen die nah- und fernöstlichen 
Bösewichte gerichtet, sondern gegen Russland. Das eröffnet gleich 
zwei neue Perspektiven: stärkere Unterstützung Moskaus gegen die 
atomare Aufrüstung des Iran, von der Russland übrigens stärker 
bedroht wäre als etwa die USA, und zweitens neue Hoffnung, dass 
Washington und Moskau endlich wieder konkret über gegenseitige 
Abrüstung verhandeln. Schließlich hat sich Obama auch innenpolitisch 
den Rücken freier gemacht. Er hat genug an der Gesundheitsfront zu 
kämpfen. Mit dem Verzicht auf den Raketenschild werden zumindest die 
Kritiker seiner immens teuren Rüstungspolitik weniger.
Also nur Gewinner? Nicht ganz. Die Regierungen in Warschau und Prag, 
die gegen starken Widerstand in ihren Ländern die Stationierung des 
Schildzubehörs auf ihren Territorien durchsetzen wollten, sind von 
Obama düpiert worden. Ihr Vertrauen in Amerikas Verlässlichkeit ist 
dadurch nicht gerade gestärkt worden. Das könnte sich rächen, wenn 
Amerika, wie angekündigt, ab 2015 tatsächlich ein ganz neues 
Raketensystem in Polen und Tschechien platzieren will. Dennoch bleibt
es dabei: Barack Obama hat eine kluge Entscheidung getroffen.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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