Berliner Morgenpost: Klarheit vor der Bundestagswahl - Leitartikel
Berlin (ots)
Otto Normalwähler kann FDP und Grünen dankbar sein an diesem Montag vor der Bundestagswahl. Nach den deutlichen Ansagen dieses Wochenendes muss man nicht mehr lange hin und her rechnen, was denn wohl am Ende herauskommen könnte, wenn man dieser oder jener Partei seine Stimme gibt. Man muss auch nicht mehr fürchten, in den kommenden Wochen verloren zu gehen im Begriffsdickicht von "Schwarzer Ampel", "Roter Ampel" "Jamaika" oder "Togo". Ohne einen Gesichtsverlust von ypsilantischen Dimensionen jedenfalls können sich nach den Wahlen weder Westerwelles Liberale noch Trittins Grüne zum Steigbügelhalter der Wunschkoalition des jeweils anderen machen. Realistisch betrachtet bleiben also zwei Alternativen für den kommenden Sonntag: 1. Man wählt Union oder FDP. Damit votiert man für eine schwarz-gelbe Koalition. 2. Man wählt SPD oder Grüne oder Linke. Damit bereitet man unter dem Strich einer Fortsetzung der großen Koalition den Weg. Die einzige Unwägbarkeit ergibt sich für die Wähler unter 2) aus der Frage, ob im Verlauf der kommenden vier Jahre aus der großen Koalition nicht doch eine rot-rot-grüne wird. Das wird jetzt ausgeschlossen, ist aber nicht ausgeschlossen, weil SPD und Grüne und Linke Blutsverwandte sind und die aus der Vergangenheit rührenden Familienfehden irgendwann zu Randerscheinungen werden können. Aber das bleibt vorerst vage Prognose. Im Hier und Jetzt geht es um Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot. Das nimmt der Wahl ein gewisses Maß an Spannung, denn in beiden Fällen würde die Kanzlerin ja Angela Merkel heißen. Und selbst deren potenzieller neuer Partner ist ja kein ganz unbeschriebenes Blatt. Die Liberalen, das lässt sich schnell erkennen, haben sich in den zurückliegenden elf Jahren Opposition personell nicht wirklich erneuert. Im Gegenteil. Westerwelle, Solms, Brüderle, Leutheusser-Schnarrenberger, die aussichtsreichsten Ministerkandidaten also, haben schon vor 1998, zu Zeiten Helmut Kohls, eine wichtige Rolle in der FDP gespielt. Auch wenn sie bisher mit Ausnahme Leutheussers noch nicht Bundesminister waren: Die Erwartung, dass mit einem Wechsel von der Oppositions- auf die Regierungsbank ein ganz frischer Wind im Kabinett Merkel wehen würde, wäre eindeutig unrealistisch. Die vier Kandidaten stehen eher für ein gehöriges Maß an Beständigkeit. Sie wissen, dass Politik in den allermeisten Fällen aus dem Bohren dicker Bretter besteht. Als schwarz-gelbe Gespenster, zu denen sie SPD und Grüne gerne machen würden, sind sie ebenso ungeeignet wie Peer Steinbrück als rote Socke. Vielmehr steht zu vermuten, dass die Liberalen in ihren angestrebten Ressorts, Äußeres, Wirtschaft oder Finanzen, Bildung und/oder Justiz, gar nicht so vieles anders machen würden oder könnten als die derzeitigen Amtsinhaber. Zumal die Wirtschafts- und Finanzkrise, das beherrschende Thema der kommenden Legislaturperiode, den Spielraum sehr eng halten wird.
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