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Berliner Morgenpost: Es kommt auf jede Stimme an - Kommentar

Berlin (ots)

Der Versprechungen, Unterstellungen und
Vertuschungen sind genug gewechselt, lasst uns - in Anlehnung an 
Johann Wolfgang von Goethes Faust, der Tragödie erster Teil - endlich
Taten sehen... Damit die Politiker ans Werk gehen können, sind zuvor 
die Wähler, wir alle gefragt. Jeder Einzelne bestimmt mit, wer uns in
den kommenden vier Jahren regieren wird. Eine reine Theorie aus dem 
politischen Seminar? Keineswegs. Gerhard Schröder wurde 2002 zum 
Kanzler wiedergewählt, weil seine SPD gerade mal knapp 6000 Stimmen 
mehr bekommen hatte als die Union mit Edmund Stoiber. Es muss nicht, 
aber es kann sehr wohl auf jede Stimme ankommen. Weil auch für heute 
Abend ein knappes Ergebnis prognostiziert wird, lohnt es sich einmal 
mehr, sich auf den Weg ins Wahllokal zu machen.
Wählen ist in strengem Sinne natürlich keine Pflicht, sollte als 
solche auch nicht eingeführt werden. Aber wählen sollte für einen 
Bürger, der sich als Demokrat fühlt, eine Selbstverständlichkeit 
sein. Demokratie kommt aus dem Griechischen und bedeutet Herrschaft 
des Volkes. In den Massengesellschaften der Neuzeit überträgt das 
Volk den von ihnen gewählten Abgeordneten ein zeitlich begrenztes 
Mandat zur Machtausübung. Dafür müssen sie in regelmäßigen Abständen,
eben in Wahlen, Rechenschaft ablegen. Dieses freie Wahlrecht ist ein 
hohes Gut, für das Generationen gekämpft haben und in vielen Ländern 
noch immer gekämpft wird. In Deutschland wurde das freie und gleiche 
Wahlrecht für Männer und Frauen erst 1919 eingeführt. Die Nazis 
schafften es ab, in der Bundesrepublik gilt es wieder seit 1949. In 
der DDR dagegen blieben freie Wahlen eine unerfüllte Hoffnung. Noch 
im Mai 1989 bei der Kommunalwahl wurden die Ergebnisse weiter so 
massiv nach oben gefälscht, dass sich selbst der eine oder andere 
SED-Funktionär schämte. Das ist erst 20 Jahre her.
Freie Wahlen sind nichts Selbstverständliches. Niemand sollte dieses 
Recht gering achten. Selbst der Einsatz deutscher Soldaten am 
Hindukusch hat nicht zuletzt damit zu tun, dass auch die Afghanen 
wieder in die Lage versetzt werden sollen, frei darüber zu 
entscheiden, wer sie und ihr Land regiert. Ist es wirklich egal, wer 
regiert? Ob Steuern in den kommenden vier Jahren gesenkt oder 
angehoben werden? Ob es einen flächendeckenden Mindestlohn im Land 
gibt oder nicht? Ist es für die wirtschaftliche Entwicklung 
tatsächlich egal, ob Atommeiler vorerst weiter Strom liefern oder 
ganz auf alternative Energien gesetzt wird?
Auch wenn die Unterschiede - Ausnahme Linkspartei - auf den ersten 
Blick zwischen den Parteien so groß nicht sind, wird das Land von 
Schwarz-Gelb mit anderen Prioritäten regiert werden als von einer 
großen Koalition, einer Ampel oder von Rot-Grün. Auch kleine 
Unterschiede können große Wirkung zeigen. Deshalb sollte jeder 
Demokrat wählen - selbst wenn keine Partei seinem Ideal entspricht. 
Denn auch das gehört zur Grundausstattung eines jeden Demokraten: die
Bereitschaft zum Kompromiss.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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