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Berliner Morgenpost: Eine Preisträgerin, die noch zu entdecken ist

Berlin (ots)

Man könnte meinen, es habe eine besondere
Bewandtnis mit den Neunerjahren. 1929, zehn Jahre nach der Gründung 
der Weimarer Republik und am Beginn ihrer finalen Krise, erhielt 
Thomas Mann den Literatur-Nobelpreis. Wie kaum ein anderer galt er in
der Welt als ein kultureller Repräsentant dieser von innen bedrohten 
ersten deutschen Demokratie. 1999, zehn Jahre nach dem Fall der Mauer
und zum Ausklang des Jahrhunderts der Totalitarismen, ging die 
höchste literarische Auszeichnung an Günter Grass, der wie kaum ein 
anderer als Repräsentant der Bundesrepublik und ihres kulturellen 
Mainstreams galt und gilt. Und nun, noch einmal zehn Jahre später, 
pünktlich zum 20.Jahrestag des Mauerfalls, wieder ein 
"deutscher" Nobelpreis: Herta Müller war Außenseiterin unter denen, 
die als mögliche Kandidaten genannt wurden. Gerade hatte der Ständige
Sekretär der Schwedischen Akademie, Peter Englund, mit seiner Kritik 
am "Eurozentrismus" des Nobelpreiskomitees noch einmal die Erwartung 
beflügelt, es werde in diesem Jahr ein Nicht-Europäer ausgezeichnet, 
also etwa Philip Roth, der ewige Kandidat, oder Bob Dylan oder Joyce 
Carol Oates oder Amos Oz. Groß ist nun die Überraschung, in die sich 
auch Ratlosigkeit mischen mag, über die mögliche Botschaft dieser 
Preisvergabe an eine aus Rumänien stammende deutsche Autorin, die 
noch vor dem Sturz Ceausescus und dem Verschwinden des Eisernen 
Vorhangs ihre Heimat Richtung Bundesrepublik verließ.
Beim Rätseln, was das zu "bedeuten" habe, sollte man die Finger von 
jeglicher Zahlenmystik und die Neun als Schicksalszahl der Deutschen 
aus dem Spiel lassen. Den runden Jahrestagen und Jubiläen, die in 
diesem Neunerjahr 2009 in Deutschland begangen werden, wollten die 
Schweden sicherlich nicht noch einen Feieranlass hinzufügen oder gar 
den Ehrenschein für ein literarisches Werk auf das Land abstrahlen 
lassen, in dem es größtenteils entstand. Herta Müller geht das 
Repräsentative, das gewissermaßen Staatstragende ab. Sie ist keine 
deutsche Nationaldichterin, sondern eine, die, wie es in der 
Preisbegründung heißt, "Landschaften der Heimatlosigkeit" zeichnet.
Die Heimatlosigkeit kommt aus der Erfahrung des Totalitarismus, der 
Allgegenwart von Angst, Misstrauen und Gewalt. Herta Müller verlor 
ihre Arbeit als Übersetzerin, weil sie sich weigerte, mit dem 
Geheimdienst Securitate zusammenzuarbeiten. Ihre Mutter hatte die 
Repression der Deutschen in Rumänien in den ersten Nachkriegsjahren 
erlitten und war in den Gulag deportiert worden. 1987 reiste Herta 
Müller aus. Die Erinnerung an die Ceausescu-Diktatur und die 
Schwierigkeit, im Westen heimisch zu werden, bilden den biografischen
Rohstoff ihrer Literatur. Ihr Werk verarbeitet also historische 
Erfahrungen einer deutschen Minderheit in einer europäischen Region, 
die auch heute noch am Rande liegt. Doch ihr Anspruch ist universell.
Genau das ist durch den Nobelpreis gewürdigt worden. Er stellt eine 
Dichterin ins Licht, die für viele noch zu entdecken ist.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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