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Berliner Morgenpost: Endlich wieder Bewegung in der Regierungspolitik - Leitartikel

Berlin (ots)

Es geht Schlag auf Schlag: Noch verhandeln die
Spitzen von CDU, CSU und FDP über den Koalitionsvertrag, da sickerte 
gestern ein Beschluss nach dem anderen durch. Verkürzung der 
Wehrpflicht, Überprüfung der Praxisgebühr, Umsatzsteuer für kommunale
Betriebe wie Müllunternehmen, Absage an den Schattenhaushalt, 20 
Milliarden Euro für die Sozialversicherungssysteme. Die Liste der 
Neuigkeiten ist umfangreich, die Aufregung darüber mindestens genauso
vielfältig. Wie gut das tut.
Denn erinnern wir uns: Groß war die Kritik in den vergangenen Jahren 
an der großen Koalition, an der Unbeweglichkeit dieser Regierung aus 
Union und SPD, wo jede Seite Rücksicht auf die andere nehmen musste 
und zum Schluss nur noch mühsam Kompromisse gefunden wurden. Oder 
wichtige Entscheidungen wie zur Reform der Jobcenter, deren Ziel es 
war, die Erwerbslosen besser zu betreuen, vertagt wurden. In der 
Hoffnung auf einen Regierungswechsel, auf eine neue Koalition. Die 
gibt es nun - und die will offenbar viel verändern.
Beispiel Wehrpflicht. Sollte die allgemeine Wehrpflicht wirklich, wie
gestern aus den Reihen der Unterhändler verlautete, von neun auf 
sechs Monate verkürzt werden, so wäre dies ein weiterer Schritt hin 
zu einer Berufsarmee in Deutschland. Und ein Zeichen, dass sich die 
FDP als neuer Koalitionspartner durchgesetzt hat. Denn die Liberalen 
plädieren schon seit Langem für die Abschaffung des Wehrdiensts und 
für die Schaffung einer Freiwilligenarmee. Dafür gibt es gute Gründe,
wie die zunehmende Zahl der Auslandseinsätze. Einen Wehrpflichtigen 
kann man nicht nach Afghanistan schicken, einen Berufssoldaten 
dagegen schon. Außerdem werden derzeit nur noch 15 Prozent eines 
Jahrgangs eingezogen, was natürlich nicht mehr gerecht ist. Es gibt 
aber auch etliche Gründe, die gegen eine solche Berufsarmee sprechen 
- die deutsche Geschichte und ihre leidvollen Erfahrungen, der gute 
Grundgedanke, dass alle jungen Männer einen Dienst an der 
Gesellschaft leisten müssen, sei es als Bundeswehrsoldat oder als 
Zivildienstleistender in einem Pflegeheim.
Trotzdem: Schwarz-Gelb traut sich was.
Noch mehr Aufregung hat der geplante Schattenhaushalt in den 
vergangenen Tagen ausgelöst. Darf man einen solchen Haushalt für die 
Defizite bei der Arbeitslosen- und Krankenversicherung einführen? 
Oder ist das verfassungswidrig, praktisch eine Bilanzfälschung? Nach 
der harschen Kritik vonseiten der neuen Opposition ließ die künftige 
Regierung das Konstrukt noch einmal prüfen - nun soll es diesen 
Sonderfonds frühestens im nächsten Jahr geben. Die Finanzlöcher in 
den Sozialversicherungssystemen wollen Union und FDP jetzt direkt mit
rund 20 Milliarden Euro stopfen. Das wird voraussichtlich nicht ohne 
die Aufnahme neuer Schulden gehen. Dass das die richtige Lösung ist, 
kann man getrost bezweifeln.
Wenn der Koalitionsvertrag am Wochenende vorgelegt wird, wird es noch
sehr viel mehr Grund zur Diskussion geben. Das Gute ist: Endlich ist 
wieder Bewegung in der Politik.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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