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Berliner Morgenpost: Wenn Reform auf Realität trifft, dann knirscht es - Leitartikel

Berlin (ots)

Ausgerechnet am Tag der wuchtigsten
Studentenproteste trafen sich im gediegenen Babelsberg hohe Herren 
aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, um gemeinsam mit den 
Studierenden den Bildungsstandort Deutschland hochleben zu lassen. 
Ministerpräsident Platzeck war da, der frühere Finanzminister 
Steinbrück und natürlich Hasso Plattner. Der Mitbegründer des 
Software-Hauses SAP hatte vor zehn Jahren das nach ihm benannte 
Institut HPI gegründet, eine der besten IT-Hochschulen Deutschlands. 
50 Professoren kümmern sich um 450 meist hoch motivierte Studenten.
Warum gibt es das Modell Plattner nicht überall im Land? Weil der 
Milliardär 200 Millionen Euro von seinem privaten Geld gestiftet hat.
Umgerechnet 44.000 Euro pro Student und Jahr hat der Mäzen spendiert,
womit der Preis von Exzellenz in der Informationstechnologie 
beziffert wäre. Das HPI hatte allerdings einen Startvorteil gegenüber
herkömmlichen Universitäten: Es entstand aus dem Nichts. Gebäude 
wurden bedarfsgerecht konzipiert, Lehrkräfte mit Bedacht gesucht, 
Studenten von einer Auswahlkommission verlesen. Forschung und Lehre, 
Zukunftsblick und Effizienz stehen im Einklang. Die Frage nach 
Studiengebühren stellte sich hier gar nicht erst, weil die 
Absolventen einen ordentlichen Job so gut wie sicher haben. Es gilt: 
Lieber für eine gute Zukunft zahlen als gratis ins 
Bildungsproletariat rauschen.
Im normalen Uni-Betrieb ist alles anders: Hier wird nicht neu gebaut,
sondern Altes mühsam renoviert, selten bedarfsgerecht: Aus Treckern 
sollen plötzlich Rennwagen werden. Professoren, die bislang lieber 
forschten, müssen auf einmal wie Gymnasiallehrer arbeiten oder 
Drittmittel einwerben. Rektoren, die hingebungsvoll verwalteten, 
sollen wie Manager denken. Und Studenten, die vielleicht mal stolz 
sein wollten auf ihre akademische Ausbildung, entschuldigen sich 
heute ungefragt für ihren Bachelor-Studiengang.
Das Reformpaket hatte zwei Ziele: Der Nachwuchs sollte schneller auf 
den Arbeitsmarkt geschoben werden, die Universitäten zugleich mehr 
Freiheit erhalten, um den Wettbewerb um Studierende aufzunehmen. 
Leider traf eine theoretisch ersonnene Reform auf die triste Realität
der deutschen Hochschule - das Durcheinander ist derzeit zu 
besichtigen.
Das breite Wohlwollen von Politik und Wissenschaftsapparat für die 
Studentenproteste bekräftigt die landesweite Verunsicherung noch. Die
Probleme sind zwar offensichtlich, aber eine schnelle Lösung gibt es 
nicht. Denn das gute alte Studium ist abgewickelt, das neue aber 
taugt nicht viel. Es ist wie mit dem entkräfteten Schwimmer, der den 
Atlantik durchkreuzt: Auf halber Strecke ist die Umkehr ebenso 
aussichtslos wie stures Weitermachen.
Der größte Konstruktionsfehler war es, alle Studiengänge gleich zu 
behandeln. Nun ist es an den Universitäten, bei jedem Fach 
individuell nachzusteuern. Eile ist geboten. Denn in zwei Jahren 
drängen die Doppeljahrgänge von den Gymnasien auf die Unis.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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