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Berliner Morgenpost: Ein Rücktritt, der zur Befreiung wird - Leitartikel

Berlin (ots)

Nun ist aus der ersten personellen Krise in der Ära
Merkel noch ein Befreiungsschlag geworden. Mit Ursula von der Leyen 
hat die Bundeskanzlerin eines ihrer besten Kabinettsmitglieder ins 
Arbeits- und Sozialministerium befördert. Zu ihnen zählte der 
zurückgetretene Franz Josef Jung zweifellos nicht. Angesichts der 
bevorstehenden großen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt und dem 
unveränderten Sanierungsbedarf der sozialen Sicherungssysteme bekommt
das Ministerium jetzt eine Chefin, die aufgrund ihrer Erfahrung, 
ihrer Reformerfolge schon in der Familienpolitik und ihrem Charme, 
gepaart mit Härte in der Sache, Mut auch zu neuen überraschenden 
Lösungen verspricht. Das kann dem Land angesichts der Verkrustungen 
im Arbeitsrecht und der demografischen Entwicklung nur gut tun.
Ob ihre Nachfolgerin im Familienministerium in die großen Schuhe 
passt, die Frau von der Leyen dort zurücklässt, bleibt abzuwarten 
Auch wenn die 32 Jahre junge Kristina Köhler aus Wiesbaden ihren 
neuen Job dem regionalen Proporz zu verdanken hat, nach dem wieder 
ein Hesse am Kabinettstisch zu sitzen hat, ist ihr eine faire Chance 
einzuräumen. Die Aussicht, diese zu nutzen, ist auch deshalb nicht 
schlecht, weil Frau Köhler ein gut bestelltes Ressort übernimmt.
So überraschend die Kanzlerin von der ersten personellen Krise 
während ihrer nun gut vierjährigen Amtszeit heimgesucht wurde, so 
schnell, entschlossen und konsequent hat sie sie entschärft. Ihr 
Krisenmanagement scheint auch in personellen Angelegenheiten weit 
besser zu funktionieren, als ihre Kritiker meinen.
Das kann man von Franz Josef Jung nicht behaupten. Hätte er sich tags
zuvor schon zum Zwangläufigen durchgerungen, wäre es für ihn 
wenigstens noch ein respektabler Rücktritt gewesen. Doch er musste 
nicht zuletzt durch Druck aus dem Kanzleramt zum Abschied aus 
Berliner Ministerwürden gedrängt werden. Ohne den wäre er als ein 
Minister in Erinnerung geblieben, der sich fachlich Respekt 
verschafft hat, der allerdings aufgrund seiner 
Persönlichkeitsstruktur durch mangelnde Ausstrahlung und 
Kommunikationsgabe überlagert wurde. Fortan bleiben allein seine 
Defizite haften. Wie groß die sind, ist bei jedem Auftritt seines 
Nachfolgers Karl-Theodor zu Guttenberg spürbar.
Die Opposition hätte sich kaum einen besseren Start erhoffen können. 
Zum inhaltlichen Hauen und Stechen innerhalb der Koalition kommen nun
die gravierenden militärischen wie politischen Vertuschungsversuche. 
Dass sie auf umfassender Aufklärung besteht, ist geradezu ihre 
Pflicht. Im Zentrum muss dabei stehen, wer aus welchen Motiven die 
frühen Erkenntnisse über zivile Opfer bei dem Luftschlag gegen die 
erst entführten und dann gestrandeten Tanklaster verschweigen wollte.
Vor nachträglichen Bewertungen taktischer militärischer Einsätze vor 
Ort sollten sich allerdings alle Abgeordneten hüten. Der 
"kriegsähnliche" Einsatz in Afghanistan ist kein Computerspiel. Wer 
wie der Bundestag Soldaten in den Kampf schickt, muss mit Opfern 
rechnen. Auch mit zivilen.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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