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Berliner Morgenpost: Das Ende des Wunschdenkens - Leitartikel

Berlin (ots)

Das Gute an dem missratenen Bombeneinsatz unserer
Afghanistan-Truppen ist, dass sich am Ende des Geschehens kein Mensch
mehr wird verstecken können hinter irgendwelcher Schönfärberei. Die 
Bundeswehr ist in Afghanistan nicht im "Konsolidierungseinsatz", sie 
betreibt dort auch nicht eine gehobene Form der Polizistenausbildung.
Sie beteiligt sich vielmehr an einem modernen, asymmetrischen Krieg 
in einem Land, in dem die Terrortruppe der Taliban noch immer mehr 
Macht und Einfluss und auch Unterstützer hat als die sogenannte 
Regierung. Es ist brutal. Für die Bundeswehrsoldaten. Aber auch für 
das sie tragende Volk, dessen Gemeinwesen auch auf dem Satz gründete,
nach dem von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe.
Diese konstitutive Säule des demokratischen Nachkriegsdeutschlands 
wankt. Ein von einem deutschen Oberst befohlener Bombenangriff auf 
eine Menschengruppe, der 142 Opfer fordert, kann nicht als Teil eines
humanitär getriebenen Auslandseinsatzes oder als bloße 
Selbstverteidigung, als Notwehr beschrieben werden. Er ist eine 
kriegerische Handlung.
Und aus Sicht der Opfer dieses Angriffs ist es auch unerheblich, dass
er Teil eines Gegenschlags ist, eine Reaktion auf den Terrorakt vom 
11. September 2001. Für die Hinterbliebenen, für die Kinder und Enkel
dieser Opfer wird es ein tödlicher Angriff der Deutschen bleiben, 
kein Akt der Befreiung. Auch vor dieser Tatsache sollte man nicht 
länger die Augen verschließen. Wenn überhaupt, dann wird tatsächlich 
unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt, wie es Peter Struck vor 
Jahren so martialisch ausdrückte, nicht die der Afghanen.
Wie schwer es ist, das einzusehen, wie schwer es ist, Abschied zu 
nehmen von dem Wunschdenken, Deutschland dürfe der internationalen 
Gemeinschaft bis in alle Ewigkeit ausschließlich als Friedensengel, 
bestenfalls als pazifistische Hilfstruppe dienen - das sehen wir in 
diesen Tagen hier in Berlin. Einen Minister, einen Staatssekretär, 
einen Bundeswehrinspekteur hat die Salamitaktik im öffentlichen 
Umgang mit dem Luftangriff von Kundus schon die Karriere gekostet. 
Ein bis dahin überragend agierender Jungminister kommt zeitweise die 
Klarheit abhanden, und er versucht sich in ungeordneter 
Vorwärtsverteidigung. Selbst die Kanzlerin muss sich Fragen stellen 
lassen, die zumindest auf Anhieb nicht beantwortet werden. Auch sie 
ließ ja bisher nie durchblicken, dass dieser Angriff nicht 
irgendwelchen anonymen Tanklastern galt, sondern leibhaftigen 
Menschen. Hätte sie das nicht sagen müssen? Hätte sie nicht den Mut 
zusammennehmen müssen, die Deutschen in aller Klarheit zu 
informieren? Oder wurde sie selbst nicht informiert? Und was würde 
das dann wieder bedeuten?
Den Bombenangriff von Kundus wird ein Untersuchungsausschuss des 
Bundestags unter die Lupe nehmen. Es wäre zu wünschen, dass die 
beteiligten Abgeordneten die üblichen parteipolitischen 
Oberflächlichkeiten beiseite ließen. Und stattdessen einen Beitrag zu
Wahrheit und Wirklichkeit dieses Landes leisteten.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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