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Berliner Morgenpost: Kein Freibrief für Unwirtschaftlichkeit - Leitartikel

Berlin (ots)

Sie hätte langweilig werden können, die Berliner
Landespolitik im Zwischenwahljahr 2010. Die rot-rote Koalition 
verfällt aus Angst vor der eigenen wackeligen Mehrheit in 
Angststarre. Die Opposition hat nicht den Mumm, sich als echte 
Alternative zu SPD und Linken zu organisieren. Interessante Debatten 
sind nicht in Sicht, alle harren nur darauf, ob die von vielen für 
2011 als wahlentscheidend betrachtete Schulreform nun einigermaßen 
gelingt oder ob eine chaotische Organisation die Wähler vergrault. 
Aber plötzlich stehen doch Themen auf der Agenda, die alle Bürger 
angehen und die in die ureigenste Verantwortung der Kommunal- und 
Landespolitik fallen, sodass sich also niemand auf irgendwelche 
Vorgaben des Bundes zurückziehen kann. Es geht um den Umgang mit 
öffentlichen Dienstleistungen, mit früheren oder aktuellen 
Staatsunternehmen. Es geht um die Frage, wie wir Daseinsfürsorge, 
also Nahverkehr, Wasser, Müll, Strom, Gas, Wohnen, in Berlin 
organisieren.
Das Verdienst, diese Fragen aufgebracht zu haben, gebührt 
Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke), dem nach Gysis Intervention 
sehr wahrscheinlichen Spitzenkandidaten der Linken für 2011. 
Natürlich setzt Wolf mit Forderungen, die für viele Linke nicht nur 
in seiner Partei attraktiv klingen, die SPD unter Zugzwang. Und 
natürlich punktet Wolf in den eigenen Reihen, wenn er mehr Staat in 
der Wirtschaft propagiert.
Aber es griffe zu kurz, Wolfs Pläne als linke Propaganda 
abzuqualifizieren. Überall in der Republik versuchen Kommunen, 
Privatisierungen der Vergangenheit zurückzudrehen. Dass es in jedem 
Fall und immer der Markt richtet, dieses Zutrauen hat nicht zuletzt 
die Finanz- und Wirtschaftskrise auch bei vielen Kommunalpolitikern 
der konservativen Parteien zerstört.
Niemand sollte sich jedoch in diesen komplizierten Fragen von 
Ideologie leiten lassen. Nötig ist ein unternehmerischer Ansatz, der 
fragt, was soll ein Gasversorger oder ein Verkehrsunternehmen leisten
und wie kann eine Stadt ihre Interessen durchsetzen. Ob man dann 
Anteile kaufen sollte oder andere Instrumente wie Ausschreibungen und
Konzessionen oder Verträge nutzt, muss im Einzelfall entschieden 
werden. Für die Gasag kann man also zu einem anderen Schluss kommen 
als für die S-Bahn.
Für die Bürger sind solche Diskussionen kompliziert, aber spannend. 
Unterschiedliche Vorstellungen, wie ein Gemeinwesen aufgebaut sein 
sollte, werden sichtbar. Wähler können entscheiden, ob sie ihre 
Interessen eher durch Verfechter des freien Marktes gewahrt sehen 
oder ob sie mehr öffentliche Interventionen wollen. In jedem Fall 
geht Politik wieder in die Verantwortung für kommunale Leistungen, 
die zu Monopolen neigen wie die Versorgung mit Wasser, Bahnlinien 
oder Gas.
Eines muss jedoch klar sein: Öffentliche Kontrolle von Unternehmen 
kann kein Freibrief für Unwirtschaftlichkeit sein. Es darf nicht 
darum gehen, mit Steuergeldern Tarife herunterzusubventionieren. Aus 
dieser unheilvollen Tradition hat sich Berlin gerade befreit.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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