Berliner Morgenpost: Konkurrenz belebt das Geschäft - Leitartikel
Berlin (ots)
Bescheidenheit war noch nie seine Sache. Gregor Gysi liebt hehre Worte und große Posen. Jetzt hat er wieder eine dicke Lippe riskiert, als er kühn im Interview mit der Berliner Morgenpost verkündete, seine Partei, die Linkspartei, Ex-PDS, Ex-SED, habe den Anspruch, den Regierenden Bürgermeister in Berlin zu stellen. Eine kühne Prognose angesichts von rund 17 Prozent Wählerzuspruch in aktuellen Umfragen und gerade mal gut 13 Prozent bei der letzten Landtagswahl 2006. Einen Kandidaten hat er mit Harald Wolf, seinen Nachfolger im Amte als Wirtschaftssenator, auch schon parat. Der ist fleißig, allerdings ohne den Hauch einer Ausstrahlung auf das Wahlvolk, das für ihn und seine Partei vor drei Jahren die mageren 13 Prozent übrig hatte. In seinem verbalen Überschwang könnte Gysi auch die Stimmungslage in der eigenen Partei falsch interpretieren. Dort wollen - wie in der SPD - die Frauen endlich mehr Mitverantwortung. Mit Sozialsenatorin Carola Bluhm hätten sie auch schon eine Konkurrentin für Wolf. Ob ernst gemeint oder nur Wichtigtuerei - Gysis Machtanspruch befeuert eine Diskussion in der Stadt, die insbesondere die vor sich hin dümpelnde SPD und deren derzeit arg müden Vormann Klaus Wowereit nachdenklich stimmen sollte. Selbst wenn es bis zur Wahlentscheidung 2011 noch fast zwei Jahre hin sind, in der Politik eine Ewigkeit voller Unwägbarkeiten, zeichnet sich in Berlin derzeit eine bislang einmalige Parteienkonstellation ab: Mit CDU, SPD, Linkspartei und den Grünen kreisen in den Umfragen gleich vier Parteien mit leichten Ausschlägen nach oben und unten um die 20-Prozent-Marke. Wo es außer der FDP keine kleinen, aber auch keine großen Parteien mehr gibt, können auch bisherige Außenseiter auf Wahlsieg setzen und somit auf das Amt des Regierenden Bürgermeisters schielen. Solche Überlegungen schürt nicht allein Gysi. Bei den Grünen werden sie längst offen diskutiert. Renate Künast, ihr Bundestagskollege Wolfgang Wieland oder Fraktionschef Volker Ratzmann gelten dabei als potenzielle Kandidaten, um Klaus Wowereit die Amtsstube im Roten Rathaus streitig zu machen. Steht der nächste Spitzenkandidat der SPD mit Wowereit natürlich felsenfest und haben Linkspartei wie Grüne bereits so etwas wie die Qual der Wahl, steht die CDU noch bloß da. Ihr Parteichef Frank Henkel hat die Partei stabilisiert, taugt aber nicht zum Spitzenkandidaten. Ob sein Stellvertreter und intern einzig denkbarer Konkurrent, der Unternehmer Thomas Heilmann, bereit wäre und ob er überhaupt mehrheitsfähig ist in der Union, bleibt ebenso ungeklärt wie die Chance, wieder einen Kandidaten von außen anzuheuern. Letzteres dürfte nach den Erfahrungen mit Friedbert Pflüger eher illusorisch sein. Aber noch hat die CDU viel Zeit. Denn wer zu früh kommt, der wird schnell verbrannt. Das gilt übrigens für alle. Bislang sind alles nur frühe Spekulationen. Mit einem realen Vorzug: Der "Regierende" kann sich seiner Sache nicht mehr so sicher sein, wie er noch immer glaubt. Das kann der Stadt nur dienlich sein. Weil Konkurrenz auch in der Politik motiviert und Probleme eher löst.
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