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Berliner Morgenpost: Drohkulissen gegen den Bahn-Konzern - Leitartikel

Berlin (ots)

Gestern hat die Politik versucht, den frustrierten
Fahrgästen auf den eisigen Bahnsteigen Wege aus dem S-Bahn-Chaos 
aufzuzeigen. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), der den 
Eigentümer vertritt, stellte sich hinter die Bahn und wiederholte die
Beschwichtigungen der Manager: So schnell wie möglich werde die Bahn 
Mängel an den Waggons beheben. Väterlich mahnte er, die S-Bahn möge 
doch ihre Kunden besser informieren. Auf den Bayern können Berlins 
S-Bahn-Kunden also nicht bauen.
Fast zeitgleich zeichnete Berlins Verkehrssenatorin Ingeborg 
Junge-Reyer (SPD) ihre Drohkulisse gegen die Bahn auf: Der Betrieb 
auf einem Drittel des Netzes werde ausgeschrieben. Oder direkt der 
landeseigenen BVG übertragen. Oder der Senat kauft gleich die ganze 
S-Bahn GmbH vom Bahn-Konzern. Viele Fahrgäste hätten sich eine 
schnellere Reaktion des Senats gewünscht, als Strafe für den 
überzogenen Sparkurs der Bahn, dessen desaströse Folgen sie jeden Tag
ausbaden. Aber Zorn wäre ein schlechter Ratgeber. Es wäre schlicht 
unmöglich, den Vertrag mit der S-Bahn schneller als bis 2017 zu 
kündigen. Es dauert Jahre, bis ein anderer Anbieter ausreichend viele
Wagen zur Verfügung hätte, um auch nur einen Teil des Betriebes zu 
übernehmen. Denn Berlins S-Bahn ist technisch ein Unikat. Wagen, die 
hier rollen, sind anderswo nicht zu gebrauchen. Das macht eine 
flexible Reaktion auf Versagen, die zu jedem Wettbewerb gehört, 
unmöglich. Berlins Nahverkehr ist noch über Jahre vom Wagenpark der 
Bahn-Tochter abhängig, und sei dieser auch noch so marode.
Junge-Reyer wirft eine Nebelkerze, wenn sie jetzt so tut, als seien 
dem Senat alle drei genannten Varianten für die Zukunft der S-Bahn 
gleich recht. Linke und SPD wollen auch das zweite Nahverkehrssystem 
der Stadt in die Hand bekommen. Entweder durch den Kauf der S-Bahn, 
was die Bahn jedoch ablehnt, oder Schritt für Schritt durch die 
Vergabe des Betriebes auf Teilstücken an die BVG.
Wenn die Senatorin sagt, sie würde in einem neuen Vertrag Leistungen,
Qualitätsstandards und Sanktionen genau festlegen, muss man hellhörig
werden. Genau das ist im alten Verkehrsvertrag nicht gelungen. Dass 
die gleichen Politiker und Beamten, die sich von der S-Bahn über den 
Tisch ziehen ließen, in wenigen Monaten viel bessere Verträge 
abschließen, ist ein frommer Wunsch. Zumal das Ganze noch 
komplizierter wird, wenn mit der Bahn und einem privaten Konkurrenten
auf einem Schienennetz zwei Akteure unterwegs sind, die sich bisher 
immer Steine in den Weg wälzten.
Berlins Behörden und Politik sind mit solchen Koordinationsaufgaben 
zwischen öffentlichem und privatem Sektor überfordert, siehe 
Bankgesellschaft oder Wasserbetriebe. Hingegen beweist die BVG jeden 
Tag, dass ein kommunaler Betrieb besser funktionieren kann als eine 
ferngesteuerte S-Bahn. Man mag gegen Berlins Politiker vieles sagen: 
Aber niemand würde politischen Selbstmord riskieren und zulassen, 
dass die S-Bahn in städtischer Verantwortung so versagt wie als 
Anhängsel der Bahn.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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