Berliner Morgenpost: Merkels Kritiker sind vorerst verstummt - Leitartikel
Berlin (ots)
Es ist wieder so gekommen, wie es bei der CDU immer endet, wenn vor einem wichtigen Strategietreffen die Kritik aus den eigenen Reihen am Erscheinungsbild der Partei und deren Vorsitzender besonders laut war. Angela Merkel, die so heftig Gescholtene, hat die gestrige Vorstandssitzung als strahlende Siegerin verlassen. Die von ihr entworfene und einstimmig beschlossene "Berliner Erklärung" soll die Richtung weisen, nach der Partei und Öffentlichkeit seit Dienstantritt der christlich-liberalen Regierung vergeblich suchen. Mit der Fokussierung auf die Zukunft ist es Angela Merkel dabei einmal mehr gelungen, den trüben Blick zurück zu meiden. Wie schon nach der Bundestagwahl 2005 drückte sich die CDU-Führung gestern um eine schonungslose Analyse des noch schlechteren Ergebnisses von 2009. Angela Merkel ist für beide Wahlenttäuschungen verantwortlich. Aber solange sie für die Union die Kanzlerschaft rettet, murrt die Partei allenfalls. Zur offenen Aussprache über den schwer angeschlagenen Seelenzustand der von ihr per Ratio gesteuerten Partei reicht der Mut ihrer Kritiker nicht. Weil Angela Merkel derzeit konkurrenzlos ist. Was sie mit der Partei weiter vorhat, gleicht einem gewaltigen Spagat. Um aus dem Etwas-über-30-Prozent-Tal wieder aufzusteigen, will Merkel die CDU weiter öffnen. Dabei ist das Ziel prinzipiell richtig, die Partei verstärkt wählbar zu machen für desillusionierte SPD-Wähler wie für eher zu den Grünen tendierende Umwelt- und Klimaschützer - und zugleich noch Pendler von der FDP zurückzuholen. Angesichts einer sich zu größerer Offenheit und Liberalität hin verändernden Gesellschaft ist mit konservativer Strenge die Vierzigprozentmarke nicht mehr zu überspringen. Zudem verpflichtet das "C" im Parteinamen, sich nicht nur als Volkspartei zu verstehen, sondern sich auch um alle Schichten des Volkes zu kümmern und sie für den eigenen Glauben zu gewinnen. Allerdings, und das haben die Tage vor dem jüngsten Hochamt für Frau Merkel auch deutlich gemacht, beinhaltet ein solcher Spagat ein hohes Risiko. Dann nämlich, wenn der politische Kern, das Wertesystem der Partei sich durch die Öffnungspolitik hin zur linken Mitte mehr und mehr verflüchtigt. Eine solche Unverbindlichkeit würde die Stammwählerschaft weiter dezimieren, die angepeilten neuen Wähler andererseits kaum überzeugen. Deshalb muss die grundsätzliche Offenheit gegenüber den Veränderungen in der Gesellschaft mit konkreten Positionen in der Sache flankiert werden. Mit den Aussagen zur Steuerpolitik findet sich in der "Berliner Erklärung" dafür zumindest ein Ansatz. Ihn weiterzuführen, muss eines von Angela Merkels Zielen beim morgigen Krisengespräch mit den Chefs von CSU und FDP sein. Ihre nächste Bewährungsprobe ist auf den 9. Mai datiert. Wenn an diesem Tag CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers die Wahl in Nordrhein-Westfalen verliert, bricht der gerade beendete Streit wieder auf. Aber auch den wird Frau Merkel mangels personeller Alternative überstehen.
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