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Berliner Morgenpost: Die zwei Gesichter des Rechtsstaats - Leitartikel

Berlin (ots)

Die Richter kannten keine Nachsicht. Endlich
einmal, möchte man in Berlin hinzufügen. Mit dem Urteil 
"lebenslänglich" für den feigen Briefkastenbomber Peter J. sind nicht
wie so oft mildernde Umstände aus der Jugendzeit des Täters in das 
Strafmaß eingeflossen. Es tut gut, dass dem Opfer mit der 
Höchststrafe für seinen Peiniger auch gefühlte juristische 
Gerechtigkeit widerfährt. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, 
weil die Verteidigung offensichtlich Revision einlegen will. Das ist 
ihr gutes Recht im Rechtsstaat. Dieser aber hat zumindest in diesem 
Fall Mut bewiesen. Im Urteil wie in dessen Begründung haben die 
Richter das Opfer so gewürdigt, wie es die Hinterhältigkeit der Tat 
verlangt.
Zwölf Jahre war Charlyn jung, als der eiskalt geplante Mordversuch 
sie traf und ihr Leben für immer grundlegend veränderte. Ein Wunder, 
dass sie überhaupt überlebt hat. Eine ganze Stadt hat tagelang um sie
gebangt und gezittert. Ärztliche Kunst hat ihr das Leben wieder 
geschenkt. Allerdings eines mit schweren Behinderungen und Traumata. 
Wenn nicht in diesem Fall, wenn nicht für die Zerstörung des 
Lebenstraums von Charlyn die Höchststrafe - wann dann? Zu oft werden 
in Deutschlands Gerichtssälen die Opfer der Angeklagten 
hintangestellt. Möge die Verurteilung von Peter J. zu lebenslanger 
Haft auch im Revisionsverfahren Bestand haben.
Ein gerechtes Urteil hat nicht allein die Tat des Angeklagten ins 
Kalkül zu ziehen, sondern auch die Leiden des Opfers. Anderenfalls 
verliert der Rechtsstaat bei den Bürgern an Respekt und Anerkennung.
Darum müssen in einem ganz anderen Fall andere Berliner 
Ordnungsbehörden bangen. Wie die mit der Observierung eines aus der 
Haft entlassenen, aber weiter als gefährlich eingestuften und prompt 
rückfälligen Sexualstraftäters umgegangen sind, grenzt an 
Verantwortungslosigkeit. Mag eine dauerhafte Überwachung rechtswidrig
sein, die Nachbarschaft auch mehrfach vor dem potenziellen Täter 
gewarnt worden sein, das soziale Wohnumfeld zu den eher schwierigen 
zählen, oder mag es zahlenmäßig an qualifiziertem Personal für 
Führungsaufsicht und Kontrolle des als Serientäter bekannten Uwe K. 
gemangelt haben - es zeigt ein skandalöses Desinteresse, wenn ein als
tickende Zeitbombe entlassener Kinderschänder seit Ende 2007 an nur 
32 Tagen observiert wurde. Gerade wenn es um Kinder geht, können sich
die Behörden aus ihrem Zu-wenig-Tun nicht glaubwürdig herausreden. 
Das Umfeld mag noch so problematisch sein - Kinder sind gerade dort 
besonders zu beschützen, damit sie keine Opfer werden.
Die Berliner erleben in diesen Tagen ein Wechselbad der Gefühle. 
Befriedigung darüber, dass einen Täter die volle Härte des 
Rechtsstaats trifft, Empörung darüber, dass ein anderer die Schwächen
des Rechtsstaats zu neuen Untaten missbrauchen kann. Die Hoffnung 
über den Tag hinaus: Werdet immer auch den Opfern gerecht; denen, die
es geworden sind wie denen, denen Gewalt droht.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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