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Berliner Morgenpost: Das Gesundheitswesen ist und bleibt leider krank - Leitartikel

Berlin (ots)

Er hat als Mediziner gewusst, worauf er sich
einließ. Doch schneller als wohl ohnehin befürchtet, steckt Philipp 
Rösler mittendrin im gesundheitspolitischen Schlamassel. Noch keine 
100 Tage Bundesgesundheitsminister, holt auch ihn die alles 
entscheidende Kostenfrage ein. Für die jetzt von den ersten 
Krankenversicherungen angekündigten Zusatzbeiträge ist er nicht 
verantwortlich - die hat ihm noch die große Koalition als Rezept 
hinterlassen. Deren letzter Versuch unter Anleitung der 
SPD-Ministerin Ulla Schmidt, das System per "Gesundheitsfonds" zu 
stabilisieren, hat sich bereits im ersten Praxistest als wenig 
heilsam erwiesen.
Damit wird der nun von Schwarz-Gelb angekündigte nächste, angeblich 
umfassende Umbau des Gesundheitswesens noch dringlicher, als es dem 
liberalen Minister-Neuling lieb sein kann. Obwohl der Bund den Kassen
im laufenden Jahr 15,7 Milliarden Euro zuschiebt, kommen die mit dem 
Geld nicht aus und erheben deshalb die Zusatzbeiträge. Dass auf die 
ersten Kassen weitere folgen werden, ist so sicher wie lange 
Wartezeiten in den Arztpraxen. Nicht minder gewiss werden die 
Gesundheitskosten und damit Beitrage, Zusätze oder sonstige neu zu 
erfindende Prämien weiter steigen. Das deutsche Gesundheitssystem - 
es verschlingt derzeit jährlich etwa 250 Milliarden Euro - gilt als 
das teuerste der Welt, ohne dass die Deutschen deshalb 
vergleichsweise gesünder wären. Im Gegenteil. In allen anderen 
EU-Staaten gehen die Menschen nur halb so oft zum Arzt wie in 
Deutschland. Unser Gesundheitswesen ist krank. Eine Akut-Behandlung 
ist überfällig.
Doch schon tobt der nächste Streit über das richtige Rezept. Nicht 
allein zwischen Regierung und Opposition, die auch in diesem Bereich 
von ihren Mitentscheidungen aus der großen Koalition abrückt, auch 
innerhalb der Regierung. Minister Rösler favorisiert das sogenannte 
Prämien-Beitragssystem, nach dem jeder Versicherte - wie beim Auto - 
den gleichen einkommensunabhängigen Beitrag zahlt. Geringverdiener 
sollen in diesem "Kopfprämien"-System aus Steuermitteln einen 
Ausgleich erhalten. Das würde nach ersten Berechnungen einen neuen 
zweistelligen Milliardenzuschuss des Bundes erfordern. Und wird 
deshalb in der CDU, allen voran von Finanzminister Wolfgang Schäuble,
angesichts der desolaten Haushaltslage bei gleichzeitigen 
Steuersenkungsforderungen der FDP zunehmend abgelehnt. Ob Rösler bei 
den von ihm ebenfalls versprochenen Sparentscheidungen etwa gegen die
Pharmaindustrie erfolgreicher sein wird, ist ebenfalls fraglich. Die 
zweifelhafte Entlassung des Chefs des deutschen Pillen-TÜV war kein 
gutes Signal. Solange die Menschen immer älter werden und die Medizin
immer anspruchsvoller und damit teurer, wird die Kostenfrage und 
damit auch die Beitragshöhe für die Versicherten immer akuter. Die 
Grenzen auszuloten ist nicht allein eine sozialpolitische, sie ist 
zugleich eine ethische Frage. Aber auch jeder Einzelne trägt 
Mitverantwortung. Müssen die Deutschen bei den Arztbesuchen wirklich 
alle Rekorde schlagen?

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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