Berliner Morgenpost: Was Angela Merkel von Obama trennt
Berlin (ots)
Auch wenn der amerikanische Präsident Obama nach seinem ersten Jahr im Amt eher enttäuschte Kritiken ertragen musste, so hat er doch auf drei hart umkämpften Politikfeldern Spuren hinterlassen: Erstens soll nahezu jeder Amerikaner in den Genuss einer Gesundheitsversorgung kommen - übrigens orientiert am deutschen Vorbild. Zweitens hat Obama entschieden, dass in Afghanistan nicht weniger, sondern mehr Nato-Militär notwendig ist. Und drittens werden die Banken künftig etwas strammer an die Kette gelegt. Obama geht Risiko: Floppt die Gesundheitsreform, scheitert Afghanistan, entwinden sich die Banker, dann ist der einstige Wundermann grandios entzaubert. Immerhin: Er traut sich was. Mehr Soziales, mehr Militär, mehr Bankenkontrolle - diese Trias mag in kein politisches Raster passen, beweist aber zweierlei: Haltung und Mut. Angela Merkel verantwortet eine konträre Politik: Acht Euro Nachschlag für schlecht wirtschaftende Krankenkassen, ein eher verschämtes Nachrüsten für Afghanistan - inklusive Taliban-Bonus - sowie Bankenkontrolle extra light. Dafür ein bisschen mehr Kindergeld und Schmiere fürs Hotel. Die Führungsstile von US-Präsident und Bundeskanzlerin unterscheiden sich fundamental: Dort der Risikospieler, hier die Sicherheitstechnikerin. Wäre Obama Beckenbauer, dann käme Angela Merkel die Rolle Schwarzenbecks zu. Der eine versucht den brillanten Pass, der allerdings auch in den Fängen der Gegner landen kann; die andere macht einfach nur dicht. Warum? Die Ziele der beiden Mächtigen sind unterschiedlich: Obama will Veränderung, Merkel Macht - und so verhalten sie sich auch, ganz in der Logik ihrer Völker übrigens. Die US-Bürger sehnen sich seit jeher nach Führung. "Leadership" ist ein eigener Wissenschaftszweig, der an jeder Eliteuniversität gelehrt wird. Obama muss die gigantischen Hoffnungen, die auf ihm lasten, durch sicht- und spürbares Handeln zumindest teilweise erfüllen. Den Deutschen ist Führung dagegen suspekt. Den letzten Versuch, Richtlinienkompetenz mit größerem Sinn zu füllen, unternahm Gerhard Schröder 2003. Zwar hat die Agenda 2010 wohl mehr für die deutsche Volkswirtschaft bewegt als alle Wirtschaftsprogramme seither zusammen, doch das Votum der Wähler war deutlich: Weg mit dem Reformator! Die Lehre: Alles so lassen. Merkels Wesen und der Wählerwillen liegen eben ziemlich dicht beieinander. Seit Obamas Demokraten ihr Kernland Massachusetts bei der Senatsnachwahl verloren haben, wurde der Kanzlerinnen-Kurs einmal mehr bestätigt: Soll die Chefin mit einer vielleicht richtigen, aber kontrovers debattierten Entscheidung die Landesregierung im wichtigsten Bundesland NRW gefährden? Natürlich nicht. In der deutschen Politik gilt nach wie vor: Die Macht ist mit den Kleinmütigen. Das größere Selbstvertrauen beweist allerdings Obama: Auch wenn er nur eine Amtszeit schaffe, so hat der Präsident einst gesagt, dann will er in dieser Phase wenigstens etwas bewegt haben.
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