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Berliner Morgenpost: Ankündigungen reichen nicht

Berlin (ots)

Mal abgesehen von vielen Konstruktionsfehlern und
falschen Anreizmodellen, schlummert ein wesentliches Problem des 
Gesundheitswesens in Millionen deutscher Medizinschränke. Studien 
ergeben immer wieder, dass der überwiegende Teil der Patienten die 
verschriebenen Pillen gar nicht, falsch oder nur ein paar Tage lang 
einnimmt. Der Wert angebrochener Arzneimittelschachteln dürfte das 
deutsche Entwicklungshilfe-Budget bei Weitem überschreiten. Offenbar 
reicht es vielen Menschen schon, überhaupt irgendetwas verordnet zu 
bekommen, was einigermaßen heilsam aussieht, gern auch was ganz 
Neues. Oft reicht das Betrachten der Pillenpackung sowie die Lektüre 
des Beipackzettels allerdings schon für eine spontane Gesundung. Die 
Hemmschwelle liegt dabei denkbar niedrig: Meist wissen die Patienten 
nicht einmal, was die Mittelchen kosten, die der Doktor flugs 
verschreibt und der Apotheker bereitwillig über den Tresen schiebt. 
Klar: Neuer und teuer hilft besser; zahlt ja alles die Kasse.
Dieses wenig transparente und kaum aufs Patientenwohl ausgerichtete 
deutsche System bietet den großen Pharma-Unternehmen mit ihren 
ausgefeilten Vertriebswegen eine Goldgrube. Gerade neue Medikamente 
mit nicht immer erwiesenem Nutzen bringen gutes Geld. Wer je im 
Ausland Medizin erworben hat, erinnert sich an deutlich niedrigere 
Preise für ein und dasselbe Mittel. Fazit: Die Tarife in Deutschland 
sind offenbar keine Markt-, sondern Mondpreise. Den Pharma-Firmen ist
kaum ein Vorwurf zu machen; sie funktionieren nach unternehmerischen 
Regeln und verlangen, was der Markt hergibt. Die Preispolitik der 
Konzerne ist nicht alleinige Ursache der permanenten Kostenexplosion 
im Gesundheitswesen, aber eine von vielen.
Gesundheitsminister Rösler zeigt Mut, sich mit den mächtigen 
Pharma-Unternehmen anzulegen. Es bleibt allerdings die Frage, ob 
Zwangsrabatte, Preisgrenzen und unter Druck geführte Verhandlungen 
zwischen Krankenkassen und Pillendrehern den gewünschten Erfolg 
bringen. Das deutsche Gesundheitswesen zeichnet sich vor allem durch 
die Zähigkeit aller Beteiligten aus, Patienten eingeschlossen.
Insofern geht der junge Minister ein gewaltiges Risiko ein: Sollte 
sein angekündigtes Gesetz scheitern oder bis zur gewohnten Normalität
verwässert werden, würde sich die FDP einmal mehr als 
Ankündigungspartei erweisen. Nichts träfe die Liberalen mehr als der 
Verdacht, die Parteispitze habe mal wieder einen politischen 
Marketing-Gag ersonnen, der sich gut in der Zeitung macht, aber am 
Ende ziemlich folgenlos bleibt. Der gelernte Arzt Rösler immerhin 
durchblickt die Strukturen des deutschen Gesundheitsunwesens und ist 
kühn genug, seinem zu Alleinherrscherfantasien neigenden Parteichef 
Westerwelle die Stirn zu bieten. Gelänge ausgerechnet der 
Ärzte-Partei FDP ein Schritt zur Kostendämpfung, wäre ein wenig von 
der systematisch verspielten Glaubwürdigkeit zurückgewonnen. 
Scheitert Rösler allerdings, fielen die Liberalen noch tiefer in das 
schwarze Loch der Beliebigkeit.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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