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Berliner Morgenpost: Ein Boykott hilft keinem Schüler

Berlin (ots)

Es gibt ja alle naselang gute Gelegenheiten, über
unser Bildungssystem zu streiten. Über Klassenstärken und 
Durchlässigkeit, über zwei-, drei- oder viergliedrige Schulsysteme, 
über Noten und Nichtnoten, über die Zuständigkeit der Länder, übers 
Turboabitur und über alles, was man unseren lieben Kleinen noch so 
zumutet. Man kann schon ein paar Jahre lang verbringen mit dem 
Studium dieser Dispute. Also: Hefte auf den Tisch. Thema heute: die 
Vergleichsarbeit.
Es gibt durchaus dümmere Ideen, die die nicht wirklich glorreiche 
Kultusministerkonferenz in den vergangenen Jahrzehnten ihres 
bürokratischen Schaffens unters Volk gebracht hat. Die Frage, welche 
Schüler welcher Schule wann was können und was nicht, darf ja 
gestellt und dann bitte auch beantwortet werden. Die Möglichkeiten, 
die sich allein für den einzelnen Lehrer, die einzelne Klasse aus 
diesen Vergleichsarbeiten ergeben, sind mannigfaltig - jedenfalls 
wenn man willens und in der Lage ist, mit Kritik und Selbstkritik 
umzugehen. Ziehen dann auch noch Kollegien, Schulräte und 
Kultusministerien die richtigen Schlüsse aus den zusammengefassten 
Ergebnissen, kann das sogar richtig segensreich wirken für die 
Schüler. So weit die Theorie.
In der Praxis sieht das natürlich anders aus. Da kommt der Vera-Test 
in Form eines schlichten Versagensprotokolls daher, aus dem Schüler 
wie Lehrer schwarz auf weiß entnehmen können, was sie alles nicht 
geschafft haben in den ersten Schuljahren. Und das keinesfalls 
ausschließlich in den sogenannten sozialen Brennpunkten. Wer sich die
gängigen Tests der vergangenen Jahre mal anschaut, merkt sehr 
schnell, dass auch das eigene Grundschulwissen Lücken aufweist, die 
in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht geschlossen werden können. 
Einen Grund, die Vergleichsarbeiten wieder abzuschaffen oder sie zu 
boykottieren, liefern diese Erfahrungen allerdings nicht.
Zum einen, weil es in einem demokratisch organisierten Bildungssystem
natürlich genau dieser Dokumente bedarf, um einer naturgemäß recht 
behäbigen Kultusbürokratie auf die Sprünge zu helfen und die 
Notwendigkeit zu dokumentieren, an diesen, jenen oder anderen Schulen
mehr zu tun, mehr zu fördern, aber auch mehr zu fordern. Zum anderen,
weil Veränderungen, zum Guten wie zum Schlechten, ja nur deutlich 
werden können, wenn man die Zustände zu einem Zeitpunkt X 
standardisiert miteinander vergleicht.
Und wenn sich nichts ändert? Wenn alle Veras dieser Welt folgenlos 
bleiben an den Grundschulen von Neukölln oder dem Wedding? Wenn alles
alle Jahre wieder im Frust endet? Dann bleibt der Boykott, die bloße 
Verweigerung dennoch die falsche Antwort, ein falsches Beispiel für 
Schüler, die es ohnehin nicht leicht haben. Die Vorbilder brauchen, 
die es wieder und wieder versuchen, die aktiv sind, nicht passiv, die
nicht aufgeben und mit dem Finger auf andere zeigen. Sondern die sich
den Herausforderungen stellen - streitbar, stark und selbstbewusst.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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