All Stories
Follow
Subscribe to BERLINER MORGENPOST

BERLINER MORGENPOST

Berliner Morgenpost: Die Natur ist eben doch stärker - Leitartikel

Berlin (ots)

Der Planet spuckt. Er bebt und reißt Krater auf. Er türmt monströse Flutwellen auf und legt tödliche Nebel über Landebahnen. Er zerstört Häuser und Menschenleben, zu Tausenden. Es sind Jahre der Naturkatastrophen, die hinter uns liegen, von Phuket, l'Aquila, Haiti. Es ist ein Skandal, möchte man rufen. Und bekommt doch nur zur Antwort: Naja, so ist er halt, der Planet. Das ist Natur - und sie ist stärker als wir. Das ist - so schlicht, so wahr - die erste Lehre der großen Wolke aus Island. Was gestern passiert ist am Himmel über Europa, begegnet einem sonst eher im Kino als Plot eines durchschnittlichen Katastrophenfilms: Eine riesige Aschewolke, hoch geschleudert von einem jener sonst so hübsch als kontemplative Tristesse angepriesenen isländischen Vulkane, von denen so mancher Work-Live-balancierender Großstadtmensch als Reiseziel träumt. Sie zieht von den britischen Inseln über den halben Kontinent und löst eine Kettenreaktion des Ausnahmezustands aus. Lufträume werden gesperrt, der Flugverkehr wird lahmgelegt. Der Himmel wird für den Menschen wieder zum unbetretbaren Raum, das Fliegen wieder zu dem, was es vor nicht einmal hundert Jahren noch war: ein Himmelfahrtskommando. Nichts geht mehr im minutengetakteten Stoßverkehr des Reisens. Eine uns selbstverständliche Lebensader schlägt nicht mehr. Demut ist angesagt, wenigstens für ein paar Stunden. Ein bisschen Demut wäre Lehre Nummer zwei aus diesem besonderen Tag. Zugegeben: Der Charme solcher Demutsgesten ist begrenzt, wenn man im öden Nirgendwo der Abfertigungskatakomben von Heathrow sitzt, auf gepackten Koffern, drei randalierende Kinder domptierend. Doch ein bisschen Demut ist trotzdem angebracht. Denn gerade an so einem Tag könnte man sich kurz daran erinnern, wie anfällig die hochkomplexen, hoch technisierten und vernetzten Lebenssysteme aus Reisen, Verbrauchen und Ausbeuten sind, von denen wir alle uns abhängig gemacht haben. Hier schließlich liegt Lehre Nummer drei: der Gedanke daran, an wie vielen unwägbaren Stellen wir mit diesen Systemen umgekehrt unseren Planeten traktieren und gravierend verändern. Dessen ganzheitliches Funktionieren wir noch lange nicht vollständig durchschauen. Um nicht missverstanden zu werden: Das ist kein Rousseau-Idealismus eines selbst gehäkelten Zurück-in-die-Steinzeit-Romantikers. Ich fahre gerne Auto, und ich fliege gern. Und, ja: Auch mein Strom kommt aus der Steckdose. Dennoch gehört es zu einem naturwissenschaftlich aufgeklärten Realismus, daran zu erinnern, dass Genmais-Aussaat, Abgasmassierungen und Atomeinlagerungen möglicherweise nicht ganz ohne Folgen für uns bleiben. Wer sich jemals in die Nähe der Natur begeben hat, auf Berge, das Meer, in die Wüste, der hat vielleicht in einem Hauch erfahren, was es heißt: Die Natur ist stärker als wir - trotz Goretex und Thermoskanne. Sie rächt sich nicht. Aber sie bewegt sich. Und dabei wird sie auf uns keine Rücksicht nehmen. Umgekehrt sollten wir es tun.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original content of: BERLINER MORGENPOST, transmitted by news aktuell

More stories: BERLINER MORGENPOST
More stories: BERLINER MORGENPOST
  • 14.04.2010 – 19:34

    Berliner Morgenpost: Ein Boykott hilft keinem Schüler

    Berlin (ots) - Es gibt ja alle naselang gute Gelegenheiten, über unser Bildungssystem zu streiten. Über Klassenstärken und Durchlässigkeit, über zwei-, drei- oder viergliedrige Schulsysteme, über Noten und Nichtnoten, über die Zuständigkeit der Länder, übers Turboabitur und über alles, was man unseren lieben Kleinen noch so zumutet. Man kann schon ein paar Jahre lang verbringen mit dem Studium dieser ...

  • 13.04.2010 – 20:54

    Berliner Morgenpost: Große Versprechen, große Enttäuschung

    Berlin (ots) - Eine der schlimmsten Plagen der Menschheit ist die Erwartung. Ob Weihnachtsgeschenk oder Aktienkurs, ob Hochzeit oder Hertha - nichts trifft uns mehr als enttäuschte Erwartungen. Der Dalai Lama rät: Einfach auf die Erwartungen verzichten. Gut gemeint, aber für den Alltag eher untauglich. Denn wer nichts erwartet, der handelt auch nicht - Erwartungen treiben den Menschen immer wieder aufs Neue ...

  • 12.04.2010 – 20:44

    Berliner Morgenpost: Eine nötige und längst überfällige Reform - Leitartikel

    Berlin (ots) - Auf ein Neues. Nach zehn Jahren wagt ein Verteidigungsminister erneut den Versuch, die Bundeswehr den völlig veränderten Herausforderungen seit dem Ende des Kalten Krieges anzupassen. Aus den Streitkräften zur Landesverteidigung ist eine Armee im Einsatz geworden. Seitdem ist der Soldatenberuf auch in Deutschland wieder einer mit ständigem ...