BERLINER MORGENPOST: Kommentar zur grünen Zukunft der CDU
Berlin (ots)
Sie hat als Arbeitsministerin die Hand auf dem größten Geldtopf der Regierung; er führt den größten Landesverband der Union. Sie galt nach Köhlers Abgang als fit für das Amt der Bundespräsidentin; er steuerte die große Koalition effektiv und intelligent mit den parlamentarischen Hebeln der Macht. Sie steht für die Fortschrittlichkeit der Union in Sachen Frauen, Familie und Karriere; er steht für eine Energiepolitik mit Blick über die graue Atommeilerdogmatik hinaus. Gemeinsam standen sie immer fest hinter ihrer Kanzlerin. Doch jetzt, so scheint es, treten Ursula von der Leyen und Norbert Röttgen ein Stückchen weit heraus aus dem Schatten Angela Merkels. Die CDU habe die energiepolitische Wende verschlafen, sagt von der Leyen. Und der einzige mit der richtigen Perspektive, sei von Anfang an ihr Ministerkollege Norbert Röttgen gewesen. Mit dieser Verlautbarung haken sich zwei unter, die der Union zum ersten Mal nach Jahren der Merkel-Dynastie eine echte alternative Machtperspektive bieten könnten. Und diese Perspektive, so wohlfeil das dieser Tage auch klingen mag, ist grün. Mehr Wunsch als Wirklichkeit? Vielleicht. Doch wer mal scheuklappenlos hinsieht, der kann schon lange erkennen: Die CDU hat mehr grüne DNA, als sie selber es sich jahrelang eingestehen wollte. Sie muss daher auch gar nicht durch die Koalitionsbrille nach einer alternativen Ersatz-FDP als Königsmacher schielen. Ihre christliche Wertorientierung an der Erhaltung der Schöpfung ist ur-konservativ - und strukturell auch ur-grün. Vom Kampf für das Reinhaltsgebot des Bieres ist es nur ein kleiner Schritt zur Skepsis gegenüber gentechnisch verändertem Fleisch, Obst und Gemüse. Und von dort ist man längst tief im Argumentationsfeld gegen eine totale Freigabe der genetischen Manipulation des Lebens und der Kritik an der PID - mithin Grundbestand jener neuen konservativen Ortsbestimmung, die Angela Merkel jüngst in der Union vorgenommen hat. Das gleiche gilt für die Forderung, dem Land die Grundlage für eine neue, nachhaltige Energieversorgung zu verschaffen. Sie ist nichts anderes, als eine gewaltige Ingenieurs- und Unternehmeraufgabe - mithin ein echtes Fortschrittsprojekt, also Kernbestand der Union. All diese Kernthemen der Grünen könnten auch im Poesiealbum jedes Unionsmannes stehen - viel eher übrigens, als in einem Parteiprogramm der SPD. Und vom Wähler der modernen Mittelschicht kann man sehr schnell lernen, wie beherzt es sich für Bioläden, Ökojoghurt und schadstofffreie Kitas streiten lässt, selbst wenn das etwas mehr kostet, ohne deshalb jeden ideologischen Ballast in Sachen Hausbesetzung mitzunehmen, den der linke Flügel der Grünen weiterhin vor sich herträgt. Die Frage ist nur: Wer steht glaubhaft für einen solchen neukonservativen Kurs? Auch wenn die Kanzlerin gerade versucht, selbst über ihren Schatten zu springen: Glaubt man ihr das? In jedem Falle spricht viel dafür, dass die neue grüne Mittelschicht nicht unbedingt Trittin und Roth wählen muss, um sich repräsentiert zu fühlen. Die überzeugenden Alternativen zu "den Alternativen" könnten auch von der Leyen und Röttgen heißen. Vielleicht fand Frau von der Leyen das ja auch, als sie ihr Lob von Röttgen zu Protokoll gab.
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