BERLINER MORGENPOST: Täuscher und Täuschenlasser - Leitartikel
Berlin (ots)
Nun tritt also auch Silvana Koch-Mehrin zurück. Zu den Plagiat-Vorwürfen nach wie vor kein Wort - aber Konsequenzen zieht die Vorzeige-Liberale bevor es noch peinlicher werden kann. Aber es gehören ja immer zwei dazu. Derjenige, der täuscht. Und derjenige, der sich täuschen lässt. Häufig auch: diejenigen, die sich täuschen lassen. Im Fall Guttenberg - das legt der Bericht der Universität Bayreuth sehr nahe - hat der Freiherr sehr viele Menschen vorsätzlich getäuscht. Freunde, Verwandte, Wähler, Parteifreunde, Unterstützer, die eigene Familie, der er zu guter Letzt auch noch vorwirft, mit ihren hohen Ansprüchen mitschuldig zu sein an seinem Betrug. Wie schäbig. Andererseits haben sich die meisten dieser Menschen ihrerseits, wenn nicht vorsätzlich, dann zumindest recht fahrlässig täuschen lassen. Es wäre also endlich eine gute Seite dieses Skandals, wenn sie alle, wenn wir alle etwas lernen würden aus Aufstieg und Fall des Karl-Theodor zu Guttenberg. Das gilt zunächst für die Professoren der Universität Bayreuth, die sich bei der Bewertung der Doktorarbeit Guttenbergs offensichtlich nicht von wissenschaftlichen Kriterien leiten ließen, sondern von persönlichen. Vom Namen des Doktoranden, vom Charme des Freiherrn, von der Sympathie, die man ihm nur allzu gerne entgegenbrachte. Nicht der Kopf urteilte, sondern der Bauch. Das ist menschlich, macht aber anfällig für Fehler. Ein zweiter, sehr kühler Blick; ein zweites, vielleicht anonymisiertes Bewertungsverfahren wäre womöglich ein Weg, die Reputation des Wissenschaftsbetriebs wiederherzustellen. Nötig wäre es. Zumal nicht nur der Fall der Freidemokratin Koch-Mehrin den Verdacht nahelegt, dass leichtfertiger Umgang mit der Vergabe von akademischen Titeln sich nicht auf den Fall Guttenberg beschränkt. Auch die Politik hat sich täuschen lassen. CSU und CDU samt Kabinett und Kanzlerin, die dem Dr. zu Guttenberg eine Karriere ermöglichten, deren atemberaubendes Tempo fast zwangsläufig gegen die Wand führte. Auch hier, abseits wissenschaftlicher Akribie, hält der schöne Schein einer nachträglichen Prüfung nicht stand, sondern wandelt sich bei genauerer Betrachtung zu einem ziemlich ernüchternden Sein. Die "ungeordnete Arbeitsweise" mit "gelegentlich chaotischen Zügen", die Guttenberg seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zuschrieb, hat er offensichtlich auf seine politische Arbeit übertragen. Thomas de Maizière, Guttenbergs Nachfolger als Verteidigungsminister, ist gerade abendfüllend mit den daraus erwachsenden Aufräumarbeiten beschäftigt. Das "geordnete Haus" jedenfalls, das Guttenberg in seiner schwülstigen Abschiedsrede übergeben hat, ist ein Luftschloss. Es gab Parteifreunde, die das auch vor den Plagiatsvorwürfen geahnt, gewusst, verschwiegen haben. Sie haben sich lieber auf die Zunge gebissen. Genutzt hat es niemandem. Nicht der Politik, auch nicht uns Medien, uns Wählern, die Guttenberg ja erst zu jenem Heiligenschein verholfen haben, der ihn endgültig zum Scheinheiligen werden ließ. Auch ihnen, auch uns täte ein zweiter, ein kühler, ein kritischer Blick zuweilen ganz gut, gerade wenn Euphorie und Empathie einzelne Menschen zu Projektionsflächen kollektiver Hoffnungen werden lassen. Der Täuschung wohnt dann fast zwangsläufig die Enttäuschung inne.
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