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BERLINER MORGENPOST: Die falschen Prioritäten der Politiker - Leitartikel

Berlin (ots)

Eine Siebenjährige ist in Dortmund Opfer fehlender deutscher Gesetze geworden. Ein Triebtäter, der im Herbst 2010 aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden ist, hat das Mädchen missbraucht. Er war entlassen worden, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die deutsche Sicherungsverwahrung rechtswidrig fand. Die sofortige Entlassung aufgrund des Urteils war nicht zwingend gewesen, aber die rot-grüne NRW-Regierung hat sie vorgenommen. Das Mädchen missbrauchen konnte der Täter freilich nur, weil die Behörden im Dezember 2010 auch die scharfe Polizeiüberwachung des Freigelassenen gelockert hatten. Diese Überwachung war notwendigerweise improvisiert, weil niemand auf die Entlassung vorbereitet war. Sie wurde gelockert, weil die dafür abgeordneten Polizisten auf ihren regulären Planstellen dringend benötigt wurden. Den Preis für diese Entscheidung hat das sieben Jahre alte Mädchen gezahlt. Manchmal fragen sich Politiker, warum ihr Tun so wenig geachtet wird. Der Dortmunder Fall bietet eine Antwort. Die Antwort ist: Politiker erwecken manchmal den Eindruck, es sei ihnen vieles wichtiger als Gefahren, die Wähler im Alltag zu spüren glauben. Der Eindruck täuscht meist, aber manchmal wirkt er zutreffend. Der Staat, finden die Wähler, soll zuallererst Schutz vor absehbarem Unglück bieten - ganz besonders dann, wenn die Abwendung solchen Unglücks allein in der Hand deutscher Politiker liegt. Im Fall von Triebtätern heißt das: Nach dem Urteil des europäischen Gerichts muss ein neues Gesetz über die Unterbringung von Triebtätern geschaffen werden, und das möglichst schnell. Solange das Gesetz nicht fertig ist, soll der Staat dafür sorgen, dass Triebtäter nicht unbeaufsichtigt bleiben. Die Wähler möchten bei dieser Frage weder Leichtfertigkeit noch Vertrauensseligkeit noch Experimente in Kauf nehmen. Die rechtlich nicht nötige sofortige Freilassung des sicherungsverwahrten Täters aber wirkte wie alle diese Punkte zusammen. Die Polizei musste zusehen, wie sie nun vom Fleck weg die Überwachung hinbekommt. Die Eltern blieben mit der Aufgabe allein, dass sie nun ihre Kinder zu Misstrauen gegenüber Fremden erziehen, sprich: ihren Kindern Angst machen sollten. Und die Sozialbetreuer hatten keine klare gesetzliche Bestimmung zur Hand, wie sie mit ihrer Verantwortung so umgehen könnten, dass ein Desaster so weit wie möglich ausgeschlossen bleiben würde. Auf ein Gesetz zur angemessenen Unterbringung von Triebtätern warten alle Beteiligten bislang vergebens. Auf einen Nachtragshaushalt, der bis zu einer solchen Regelung die Überwachung solcher Täter sicherstellt, auch. Die Prioritäten stimmen nicht. Auf den ersten Sitzungen nach der Sommerpause diskutiert der Bundestag über den Bundeshaushalt, und dann als einzigen Extra-Tagesordnungspunkt zum Thema "Für eine Verhandlungslösung im Nahost-Konflikt". Genau das weckt beim Wähler Unbehagen über die Prioritäten. Eine Nahostlösung ist sehr wichtig. Aber im Nahen Osten hat nicht der Bundestag die Hoheit über das Geschehen. Im Fall deutscher Triebtäter hat er sie. Und deshalb sollten die Abgeordneten darüber dann zuerst debattieren.

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