BERLINER MORGENPOST: Gaddafis Untergang, strategischer Anfang - Leitartikel
Berlin (ots)
In diesen Tagen wird Muammar al-Gaddafi, Militärputschist, Tyrann von Beruf und Menschenquäler aus Neigung, Vergangenheit. Nicht aber die Erinnerung an den PanAm-Absturz über dem schottischen Lockerbie, an das Attentat auf amerikanische Soldaten in der Diskothek "La Belle" in Berlin, an bizarre Erpressungen und todernste Nuklearrüstung, die erst eingestellt wurde, als die Amerikaner die Zähne zeigten. Jetzt hat in Libyen das letzte Gefecht begonnen, in der Hauptstadt Tripolis wird gekämpft. Es kursieren Gerüchte, Gaddafi sei auf der Flucht. Die Rebellen haben nach fünf Monaten Aufstand mit Umfassung der Hauptstadt und Bemächtigung des entscheidenden Ölterminals die Oberhand gewonnen. Für den Westen, namentlich die mit Gut und Blut engagierten Nato-Mächte, steht viel auf dem Spiel. Denn zu den Lehren dieser Krise gehört, was ohnehin älteste Erkenntnis der europäischen Geopolitik ist, dass das Mittelmeer nicht Trennungsgraben ist, sondern Gegenküste eines kulturellen, strategischen und wirtschaftlichen Wirkungszusammenhangs, dem man sich nicht entziehen kann. Eben dies nicht zu begreifen, war Grundfehler der deutschen Stimmenthaltung, als vor fünf Monaten der UN-Sicherheitsrat Kampfeinsätze beschloss, um die libysche Bevölkerung gegen ihren Tyrannen zu schützen. Dies war und ist, nebenbei sei es bemerkt, auch epochale Abwendung vom klassischen Souveränitätsbegriff, der es jedem Herrscher überließ, wie er mit den Beherrschten umspringt. Dass just die Bundesrepublik Deutschland, sonst gern Lehrerin der Völker in Sachen höherer Moral, sich aufs Klüngeln und Taktieren verlegte, diplomatische Inkompetenz verbindend mit Bündnis-Untreue, wird ein langes Nachspiel haben. Immerhin ist zu bemerken, dass die Berliner Regierung mittlerweile von sich selbst abrückt und zusammen mit anderen über die Gestaltung nach Gaddafi nachdenkt. Zuerst einmal sollte man, bevor unvermeidbare Bedenken kommen, Freude äußern, dass ein Tyrann stürzt - und dass andere folgen, namentlich in Damaskus. Man sollte auch hoffnungsvoll zur Kenntnis nehmen, dass die trostlose Lehre, von arabischen Führern ebenso vorgetragen wie von westlichen Gelehrten, Islam sei der Demokratie abhold und Araber hätten dafür kein politisches Gen, vorerst in Tunis und Kairo als widerlegt gelten darf. Jetzt kommt es darauf an, die zarte Pflanze Demokratie zu pflegen und ihr am Rande der Wüste Rechtsstaat und Prosperität zuzugesellen. Am Geld muss es nicht scheitern. Libyen hat für Staatswerdung und moralische Erneuerung die Petrodollars. Alles andere aber muss geschaffen werden: Menschenrechte, besonders Frauen eingeschlossen, säkulares Verfassungswesen, Gleichgewichte und Gegengewichte, Bildung und Ausbildung für die junge Generation, die gegen die Chancenlosigkeit ihres Daseins ebenso rebelliert hat wie gegen die Dumpfheit der Unterdrückung. Der Krieg wird, wie die Kräfteverhältnisse liegen, bald enden. Damit wird es höchste Zeit für die drei Fragen, die jeden Militäreinsatz begründen und begrenzen müssen: Wo stehen wir? Worauf stellen wir uns ein? Und was tun wir?
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