BERLINER MORGENPOST: Nach dem Präsidenten ist vor dem Präsidenten - Leitartikel
Berlin (ots)
Präsidenten sind Signale. Seinen Sieg in der knappen Wahl 1969 hatte der Sozialdemokrat Gustav Heinemann allein den Stimmen der FDP zu verdanken. Bundespräsident Heinemann war das Zeichen, dass die sozialliberale Koalition unter Kanzler Brandt losgehen könne. Die Signale, die von den beiden bisherigen Kandidaten Angela Merkels ausgingen, waren bestenfalls diffus. Sowohl bei Köhler als auch bei Wulff hatte die Kanzlerin vor allem in den Kategorien des Machtschachs gedacht, was ihr überraschend wenig schlecht bekommen ist. Doch mit dem nächsten Kandidaten wird es ernster. Da die FDP als Partner für 2013 wohl ausfällt, muss Frau Merkel nun ein wundersames Wesen finden, das den potenziellen Koalitionären Grün und SPD ebenso zu vermitteln ist wie den Unionsparteien. Zudem wird ein Mensch gesucht, der sich zutraut, das Amt mal wieder mit Würde zu füllen, und jemand, der gerade keinen sicheren und halbwegs gut bezahlten Job hat wie etwa der Verfassungsrichter Voßkuhle. Auch wenn Erleichterung herrscht nach der quälenden Wulff-Affäre, so werden mögliche Kandidaten doch mit einiger Beklommenheit beobachten, wie selbst nach dem Rücktritt noch gehämt und billig triumphiert wird. Anstand und Moral, die zuletzt gern bemüht wurden, die scheinen für Christian Wulff nicht zu gelten. Ja, er hat Fehler gemacht. Aber er bezahlt dafür, und zwar teuer. Mit dem Rücktritt liegt eine Lebensplanung in Trümmern, nicht nur finanziell. Für die Kanzlerin ist nach dem Präsidenten vor dem Präsidenten. Es würde jedoch den gewohnten Findungsritualen widersprechen, wenn sich umgehend jemand fände, der will, der kann, den alle mögen. Wie immer gilt: Wer zu häufig genannt wird, ist schon so gut wie erledigt. Lupenreine Unionskandidaten wie Stoiber oder Lammert fallen mit Blick auf die Koalitionsoptionen 2013 aus. Im Alter Ermildete wie Geißler oder Töpfer taugten trotz Unionsgeruchs schon eher zum Allparteienkompromiss. Kaum denkbar dagegen, dass die CDU ihrer Vorsitzenden einen Sozialdemokraten Steinmeier oder die grüne Ostprotestantin Göring-Eckhardt durchgehen ließe. Eine Wahl von Ursula von der Leyen würde den Traditionalisten schwerfallen, weil: zu viel Frau an der Spitze des Staates. Experimentalkandidaten aus Kultur oder Wissenschaft wiederum sind zu riskant für eine Kanzlerin, die ihren Präsidenten-Triathlon nicht vergeigen darf: Köhler schwamm, Wulff strampelte, beim dritten muss es nun laufen. Und da kommen höchstens noch zwei infrage: Der evangelische Ex-Bischof Huber oder der eine, auf den sich das Land vor knapp zwei Jahren bereits weitgehend geeinigt hatte. Nun muss Angela Merkel ihrer Partei und dem Rest des Landes nur noch klarmachen, dass Joachim Gauck immer schon ihr Lieblingskandidat war, ja, dass sie ihn eigentlich höchstpersönlich erfunden hat und nicht das Duo Trittin/Gabriel. Mit einem Präsidenten Gauck hätte die Machtphysikerin die Verlängerung ihres Kanzlerinnenamtes ideal vorbereitet.
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