BERLINER MORGENPOST: Ballast oder Dominoeffekt Jan Hildebrand über Angela Merkel, die vor einer ihrer schwierigsten Entscheidungen steht
Berlin (ots)
Der zögernde und zaudernde Politikstil Angela Merkels ist häufig beklagt worden. In diesen Tagen jedoch, in denen die Euro-Zone auf Entscheidungen mit ungeahnten Konsequenzen zuläuft, hat Merkels Abwarten etwas Beruhigendes. Es sind schon zu viele Experten unterwegs, die genau wissen, welche Auswirkungen der Austritt eines Staates aus einer Währungsgemeinschaft hätte. Und zu viele Politiker, die sich redselig anschließen. Nur wer Entscheidungen nicht verantworten muss, erteilt Ratschläge leicht. Merkel aber dürfte der Puls hochschnellen, wenn sie an die nächsten Wochen denkt. Soll sie Griechenland in die Pleite gehen und aus der Währungsunion fallen lassen? Oder wirft sie schlechtem Geld gutes hinterher? Um den Preis der Glaubwürdigkeit, wenn Europa wieder einmal ignoriert, dass festgeschriebene Regeln vom Hilfsempfänger verletzt wurden. Und möglicherweise auch um den Preis ihrer Koalition, was neue Schockwellen auslösen würde: das größte Euro-Land ohne Regierung! Seit langer Zeit ist man im Kanzleramt zwischen zwei Sichtweisen hin- und hergerissen. Die Anhänger der Ballasttheorie stellen in Aussicht, dass sich die Euro-Zone stabilisieren wird, nachdem mit Griechenland ein Unruheherd ausgeschieden ist, ein Land, das notorisch jedes Ziel verfehlt und auch unter der neuen Regierung von Ministerpräsident Antonis Samaras alles andere als politisch verlässlich ist. Die Dominotheorie prophezeit das Gegenteil: Nach Griechenland würden sich die Blicke der Finanzmärkte auf die nächsten Staaten richten, Portugal, Spanien, dann vielleicht Italien. Nicht weil böse Investoren am Werk sind, die den Euro sprengen wollen, sondern schlicht, weil die Euro-Staaten auch bei einem Austritt Griechenlands wieder wortbrüchig würden. Sie hatten einst versprochen, kein Land fallen zu lassen. Wenn sie den Schwur nun für die übrigen 16 Staaten wiederholen, wer soll es ihnen glauben? Die Regierungen haben sich in eine Lage gebracht, in der sie nur noch gegen selbst gesetzte Regeln und Versprechen verstoßen können. Es bleibt nur noch die Wahl zwischen schlechten Alternativen. Die Regierungschefs können einzig prüfen, wie der Schaden, der finanzielle und der für die Glaubwürdigkeit, minimiert werden kann. Entscheidend wird dabei sein, dass Merkel und Frankreichs Präsident Hollande endlich eine Arbeitsgrundlage finden und eine gemeinsame Strategie entwickeln. Die innenpolitischen Zwänge machen es beiden schwierig. Merkel muss bei neuen Hilfen für Griechenland um die Gefolgschaft ihrer Koalition fürchten. In die Agenda des französischen Sozialisten passt es hingegen überhaupt nicht, Athen die Solidarität aufzukündigen. Die Euro-Rettung wird auch davon abhängen, ob Merkel und Hollande ein Ausgleich ihrer Interessen gelingt. Merkel sei jeder Tag gegönnt, an dem sie verhandelt und abwägt. Solange sie der Verlockung widersteht, die Entscheidung bis zur Bundestagswahl zu verschleppen. Damit wäre weder Griechenland noch der Euro-Zone gedient.
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