BERLINER MORGENPOST: Ich zahle, also bin ich?
Leitartikel von Marius Schneider
Berlin (ots)
Vertrauen ist der Anfang von allem, meint ein großes deutsches Geldinstitut. Und der Satz ist wirklich gut. So gut, dass er selbstverständlich weit jenseits der Finanzwirtschaft einiges erklären kann. Schließlich wir alle jene existenziellen Erlebniswelten, in denen Vertrauen alles ist. In Banken zum Beispiel. Oder als Kunde in Kfz-Werkstätten. Oder als Patient. In diesen Momenten der Hilfsbedürftigkeit hilft nur Vertrauen. Dass der mir fachlich weit überlegene Halbgott im Kittel mir gibt, was ich in meiner Notlage jetzt wirklich brauche. Natürlich weiß ich, dass auch das, was der Arzt für mich tut, ein Geschäftsdeal ist: Ich bezahle, er hilft. Aber trotzdem wohnt in mir die Hoffnung, dass er mir das Richtige, Gute, Nützliche ohne Ansehen der Person angedeihen lässt: nur mit Blick auf den Schaden oder die Qual, die zu beheben seine Profession und Berufung ist. Jeder Verdacht, dem könne nicht so sein, würde unser Verhältnis zerstören. Und ich würde mich einem anderen Dienstleister "meines Vertrauens" zuwenden - wenn ich kann. Wenn. Doch wenn ich als Todkranker auf eine Niere oder Leber oder ein Herz warte, dann kann ich das eben nicht. Vertrauen ist hier Anfang - und gegebenenfalls auch das Ende von allem. 9,6 Prozent der Patienten, die in Deutschland im letzten Jahr auf eine die Leber eines Organspenders warteten, waren Privatpatienten. Doch der Anteil unter ihnen, der diese Leber am Ende tatsächlich bekam, lag mit über 13 Prozent deutlich höher. Zufall? Bei den anderen Organen, die für 2011 statistisch erfasst wurden, war es genauso. Das ist das Ergebnis der Anfrage des Grünen Abgeordneten Harald Terpe an den Bundesgesundheitsminister. Bevorzugung? Habe ich bessere Chancen zu überleben, wenn ich mir eine private Krankenversicherung leiste, bzw. leisten kann? Ist es also wirklich mehr, als das Einzelzimmer im Krankenhaus, die Chefarzt-Visite oder das (deutlich) freundlichere Hallo der Sprechstundenhilfe bei der Terminabgabe? Entscheidet mein Geldbeutel eben doch auch über die existenziellen Fragen, über Daumen rauf und Daumen runter? Dieser Verdacht steht wieder neu im Raum. Er ist Gift für ein Gesundheitssystem, das auf dem Vertrauen zwischen Arzt und Patient aufbaut, aber auch auf der finanziellen Solidarität zwischen den Patienten. Ich zahle, also lieg ich besser - ok. Aber: Ich zahle, also bin ich? Ist es naiv, diesen Satz unethisch zu finden? Das Transplantationsgesetz ist an dieser Stelle ganz klar: Über den Platz auf der Warteliste und den Erhalt eines Spenderorgans ist zu entscheiden nach "Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung", und zwar "nach dem Stand der Erkenntnisse des medizinischen Wissenschaften." Von richtiger Versicherungsnummer steht da nichts. Wenn also der Verdacht besteht, dass diese Entscheidung von einer finanziell profitierenden Partei (zum Beispiel den Ärzten) zu Ungunsten der Patienten entschieden wird, muss er jetzt von den Verantwortlichen schnell ausgeräumt werden. Auch im Interesse all der Ärzte, die unser Vertrauen tatsächlich verdienen. Denn für das Gesamtsystem ist dieser Verdacht unerträglich - für den Einzelnen im Zweifel tödlich.
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