BERLINER MORGENPOST: Viel zu lange geschlafen
Leitartikel von Andreas Abel
Berlin (ots)
Es ist leicht, Scherze über die öffentliche Verwaltung zu machen. Das Klischee von behäbigen Mitarbeitern, die zwischen Gummibaum und unaufhörlich röchelnder Kaffeemaschine eine ruhige Kugel schieben, wird auch im Jahr 2012 oft und gerne bedient. Das ändert sich meist schnell, wenn der Berliner Steuerbürger eine Verwaltungsleistung in Anspruch nehmen muss und mit der Personalnot in den Behörden konfrontiert wird. Studenten bekommen monatelang kein Geld, weil das BAföG-Amt in Anträgen ertrinkt. Wer einen Reisepass für seine Kinder benötigt, muss sich viele Wochen vor Urlaubsantritt um einen Termin kümmern. In Schulen fällt reihenweise Unterricht aus, weil Lehrer dauerkrank sind.
Das ist schon heute traurige Realität. Spätestens in fünf Jahren wird sich die Lage in unserer Stadt aber dramatisch verschärfen, weil bis dahin fast 30.000 Beamte und Angestellte in den Ruhestand gehen - also rund jeder vierte Mitarbeiter. Wer meint, dass sich Berlins Landesregierung auf diesen Umstand eingerichtet hat und entsprechende Vorsorge trifft, irrt leider. Längst hätte eine Einstellungs- und vor allem Ausbildungsoffensive vorbereitet sein müssen. Wer 2016 gut qualifizierte Bedienstete haben will, muss drei Jahre vorher mit den Ausbildungen beginnen. Doch eine Task-Force, die sich darum kümmert, sucht man im Senat bislang vergebens. Stattdessen wachsweiche Formulierungen im Koalitionsvertrag von SPD und CDU, dass ein "Bedarfskonzept" und ein Plan für besseres Personalmanagement nötig sind. Und natürlich das sattsam bekannte Verweisen auf die Zuständigkeit des jeweils anderen Ressorts. All das macht dem Beobachter wenig Hoffnung, dass die Landesregierung die Misere zügig, offensiv und kreativ angehen wird.
Besonders ärgerlich daran ist, dass die Personalentwicklung in der Berliner Verwaltung für jedermann absehbar war. Die Altersstruktur ist kein Geheimnis, schon seit Jahren legen Personalräte und Gewerkschaften den Finger in diese Wunde. Doch seit den 90er-Jahren stand nur der Abbau vermeintlicher Überkapazitäten im politischen Fokus, ging es nur um "Sparen, bis es quietscht". Jetzt stellt die SPD die Arbeitsfähigkeit des öffentlichen Dienstes infrage. Das ist kein Ruhmesblatt für den Senat. Allerdings hätte es auch den sozialdemokratischen Abgeordneten gut zu Gesicht gestanden, etwas früher Alarm zu schlagen. Schließlich ist die Partei nicht erst seit gestern an der Landesregierung beteiligt.
Natürlich muss ein Personalkonzept her. Einstellungen nach dem Gießkannenprinzip haben ebenso wenig Sinn wie Personalabbau mit dem Rasenmäher. Doch weder Koalition noch Senat dürfen sich damit viel Zeit lassen, das ist eine Schwerpunktaufgabe der kommenden Monate. Wer wartet, bis Zehntausende Mitarbeiter bereits im Ruhestand sind, gefährdet nicht nur die Verwaltungsabläufe, sondern verhindert auch Wissenstransfer in die nächste Generation. Und schlussendlich muss die Politik dafür sorgen, dass jungen Menschen die Arbeit in einer Senats- oder Bezirksverwaltung attraktiv erscheint. Der Landesdienst hat auch ein Imageproblem: Freie Wirtschaft und Bundesbehörden bilden eine starke Konkurrenz.
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