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BERLINER MORGENPOST: Solidarität hat ihre Grenzen
Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Berlin (ots)

Um Ruf und Akzeptanz Europas ist es bei den Bürgern nicht gerade zum Besten bestellt. Und die EU-Kommission, quasi die Regierung der Gemeinschaft der 28, ist dabei, insbesondere in Deutschland der Idee vom gemeinsamen Kontinent weiter zu schaden. Ihre Forderung, auch arbeitslosen Zuwanderern aus der EU Sozialleistungen wie Hartz IV auszuzahlen, widerspricht nicht nur ihrer bisherigen Haltung. Sie würde die Tore für eine dann ernsthaft zu befürchtende Armutswanderung nach Deutschland öffnen. Das ist aus finanziellen wie gesellschaftspolitischen Gründen für keine Bundesregierung akzeptabel. Dabei war man dabei, die jüngst entbrannte Diskussion über Armutswanderung in Verbindung mit der neuen Freizügigkeit jetzt auch für Rumänen und Bulgaren zu versachlichen. Die große Koalition setzte in dieser Woche einen Zuwanderungsausschuss ein. Geklärt werden soll, ob Zuwanderer aus EU-Staaten Sozialleistungen missbrauchen und neue Regelungen nötig sind. Dass es Missbrauch gibt, ist unbestritten. Offen ist das Ausmaß. Diese Frage hat die innenpolitische Kontroverse ausgelöst - nicht die Freizügigkeit generell, speziell die Zuwanderung von Fachkräften. Auf sie ist Deutschland angewiesen. Anspruch auf Hartz IV besteht nach deutschem Recht erst, nachdem schon einmal eine Beschäftigung ausgeübt worden war. Auch die EU-Justizkommissarin hat kürzlich noch bekräftigt, dass es kein Recht auf Einwanderung in die nationalen Sozialsysteme gebe. Sollte die plötzlich anderslautende Forderung der Kommission als Stellungnahme für ein laufendes Verfahren am Europäischen Gerichtshof in dessen Urteil übernommen werden, würde das Deutschland überfordern. Angesichts des Wohlstandsgefälles innerhalb der Gemeinschaft käme ein solcher Richterspruch der Einladung zum bedingungslosen Bezug deutscher Sozialleistungen gleich. Eine kleine Ahnung, wozu das führen würde, erleben wir gerade in Berlin mit den 23 Bulgaren, die eine eigene Wohnung vom Senat fordern. Die EU ist auch eine Solidargemeinschaft. Aber die Solidarität der vermeintlich wohlhabenden Mitglieder hat Grenzen. Die sind im konkreten Fall gegeben, wenn das dichte nationale Sozialnetz durch EU-Auflagen zerrissen wird. Wer das nicht wahrhaben will, rüttelt an den Grundfesten des vereinten Europa. Das hat zwar Schwächen. Aber es gibt realistisch nichts Besseres.

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