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BERLINER MORGENPOST: Keine Schuldzuweisung
Leitartikel von Kerstin Münstermann zu Seehofer und Merkel

Berlin (ots)

Kurzform: Angesichts der Ereignisse in Chemnitz - dem tödlichen Messerangriff auf einen Deutschen und den fremdenfeindlichen Demonstrationen danach - ist es jetzt an der Zeit, Lösungen anzubieten. Seehofer sollte weniger eskalieren, stattdessen nutzen, was er als Innenminister bewirken kann. Mehr Sicherheit, besserer Grenzschutz, Härte gegen Extremisten von links und rechts. Die Bundeskanzlerin sollte den Dialog mit den Bürgern stärker suchen und aus ihren Überzeugungen keinen Hehl machen. Aber auch denen zuhören, die Angst haben vor dem Verlust der kulturellen Identität, ihrer Heimat. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Demokratie zur Kernbotschaft seiner Amtszeit ausgerufen. Auch er sollte jetzt entschlossen das Wort ergreifen. Bevor es andere lauter tun.

Der vollständige Leitartikel: Man kann nur den Kopf schütteln: Migration als "Mutter aller politischen Probleme" donnert es von Bundesinnenminister Horst Seehofer aus Neuhardenberg. Der CSU-Chef riskiert mit dieser Wortwahl, dass ihm der Satz nicht nur als inhaltliche Überzeugung, sondern erneut auch als Breitseite gegen die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel ausgelegt wird. Merkel wird im politischen Betrieb von Gegnern gerne als "Mutti" herabgewürdigt. Und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, immerhin Koalitionspartner, ätzt auf Twitter im Halbstarken-Sprech zurück, er habe auf das "rechtspopulistische Gequatsche keinen Bock" mehr, Seehofer sei der "Vater von reichlich Problemen". Richtig, es gibt reichlich Probleme. Außen- und innenpolitisch. Vor allem aber in der Frage, wohin Deutschland steuert. In Zeiten von geringer Arbeitslosigkeit, boomender Wirtschaft und sprudelnden Steuereinnahmen ist es weniger die soziale Frage, die sich stellt. Vielmehr geht es im Herbst 2018 um Haltung. Die Haltung zur Demokratie und zur freiheitlichen Gesellschaft. Wenn Kamerateams von privaten Sicherheitsleuten bewacht werden müssen, Sanitäter angegriffen, Ärzte im Einsatz beschimpft, Politiker angepöbelt, Migranten verfolgt und Hitlergrüße gezeigt werden, dann ist das mehr als ein Sturm im Wasserglas. Es bedroht das, was Deutschland ausmacht. Das Land, "in dem wir gut und gerne leben", hieß es noch im CDU-Wahlslogan zur Bundestagswahl. Es ist Aufgabe gerade der Unionsparteien, deutlich herauszustellen, dass nicht die Wähler der AfD das Problem sind, sondern ihre Funktionäre. Und dass es sich lohnt, um jeden Einzelnen zu kämpfen, ihn zurückzuholen und von einem anderen politischen Votum zu überzeugen. Dass Merkel und Seehofer dazu unterschiedliche Methoden wählen, ist gut. Das ist das politische Geschäft. Unterschiedliche Überzeugungen und politische Standpunkte zu haben ist per se kein Problem. Vielmehr zeigt es die ganze Bandbreite der Union, sie ist ein Angebot an Gemäßigte, Konservative und die demokratische Rechte zugleich. Diese Vielfältigkeit war immer die Stärke der Union. Die Dauerfehde über die Migration jedoch schadet CDU und CSU bei den Menschen und beschädigt die persönliche Glaubwürdigkeit der beiden Vorsitzenden: Schuldzuweisungen, Bosheiten und sprachliche Aufrüstung sind Ausdruck von Hilflosigkeit. Stattdessen muss die Botschaft doch gerade jetzt von allen Demokraten lauten, deutlich aufzubegehren. Gegen die von AfD-Chef Alexander Gauland propagierte Revolution genauso wie gegen Versuche von Islamisten, Angst und Terror zu säen. Angesichts der Ereignisse in Chemnitz - dem tödlichen Messerangriff auf einen Deutschen und den fremdenfeindlichen Demonstrationen danach - ist es jetzt an der Zeit, Lösungen anzubieten. Seehofer sollte weniger eskalieren, stattdessen nutzen, was er als Innenminister bewirken kann. Mehr Sicherheit, besserer Grenzschutz, Härte gegen Extremisten von links und rechts. Die Bundeskanzlerin sollte den Dialog mit den Bürgern stärker suchen und aus ihren Überzeugungen keinen Hehl machen. Aber auch denen zuhören, die Angst haben vor dem Verlust der kulturellen Identität, ihrer Heimat. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Demokratie zur Kernbotschaft seiner Amtszeit ausgerufen. Auch er sollte jetzt entschlossen das Wort ergreifen. Bevor es andere lauter tun.

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