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BERLINER MORGENPOST: Die verdrängte Gefahr
Leitartikel von Miguel Sanches zum Umgang mit deutschen IS-Rückkehrern

Berlin (ots)

Vorausschauende Politik sieht anders aus. Der Umgang der Bundesregierung mit den sogenannten IS-Rückkehrern folgt einem Prinzip, das fragwürdig ist. Es ist das Sankt-Florians-Prinzip. Man setzte darauf, dass die deutschen Dschihadisten in Syrien oder im Nordirak im Kampf fallen oder gefangen werden, dass sie jedenfalls in der Krisenregion besser aufgehoben sind und im Zweifel doch lieber dort als in Deutschland zündeln.

Deshalb unternahm man nichts, um sie aus Camps zu evakuieren oder aus Gefängnissen herauszuholen, obwohl zumindest die Kurden geradezu darum gebeten haben. Es gab immer einen Vorwand, um potenzielle Gefährder zu belassen, wo sie waren. Sollten sich doch Türken, Syrer und Kurden mit ihnen herumschlagen.

Dieses Muster der Konfliktscheuheit kennt man aus der Militärpolitik. Die Bundesrepublik spielt lieber die Rolle eines internationalen Zivildienstleistenden als die einer Ordnungsmacht, die Verantwortung übernimmt.

Die IS-Anhänger waren weder aus den Augen noch aus dem Sinn der Sicherheitsbehörden. Sie wurden auch nicht etwa vergessen, wie häufig behauptet wird, sondern vielmehr politisch bewusst verdrängt. Dieses Verhalten, potenzielle Bedrohungen oder Gefahrenlagen nicht zu lösen, sondern auf andere zu verschieben, war im Konkreten opportun und fühlte sich vielleicht richtig an. Allerdings stößt es an Grenzen. Es ist ausgereizt. Und es rächt sich auch.

Erstens: Das Berliner Oberverwaltungsgericht wies die Bundesregierung an, die Ehefrau eines IS-Kämpfers mit ihren Kindern heimzuholen. Das ist ein Beschluss, den man nicht ignorieren kann und der Konsequenzen haben wird.

Zweitens: Die Türkei hat in dieser Woche damit begonnen, gefangene Deutsche abzuschieben. Auch das war eine sehr grundsätzliche Entscheidung und, wie gesagt, nur der Anfang.

Drittens: Die illegale Einreise eines abgeschobenen Clanchefs aus Bremen hat gezeigt, dass es möglich ist, unbemerkt und unter dem Radar der Behörden zurückzukommen. Was ihm glückte, kann jedem Terroristen gelingen. Wir werden der Türkei noch dankbar sein, weil sie immerhin eine kontrollierte Übergabe gewährleistet. Anders gesagt: Ungleich beunruhigender ist, dass die Polizei von 200 ausgereisten, selbst erklärten Dschihadisten nichts weiß. Nicht, ob sie gestorben oder noch gefährlich sind. Nicht, was sie vorhaben, wo sie sich aufhalten, ob sie längst unbemerkt zurückgekehrt sind. Da droht Kontrollverlust.

Viertens: Jedes weitere Jahr in der Kriegsregion - als IS-Anhänger, Kämpfer oder auch als Gefangner - macht etwas mit den Betroffenen. Vielleicht löst es einen Prozess der Ernüchterung aus, der Umkehr. Vielleicht verstärkt es aber auch die Radikalisierung. So oder so: Man hat es mit Traumatisierten zu tun. Und wenn sie nicht einer Straftat überführt werden können, müssen sie beobachtet und betreut werden. Deradikalisierung und Integration sind das Gebot der Stunde. Man darf es nicht unversucht lassen. Das gilt besonders für die Kinder und Jugendlichen unter den Rückkehrern. Der zivilgesellschaftliche Aufwand ist mit jedem Jahr des Nichthandelns größer geworden.

Es war ein Fehler, nicht früher ein Konzept entwickelt zu haben, um Leute zurückzuholen und unter Kontrolle zu halten, die - ob es einem passt oder nicht - nun mal Deutsche sind. Es war nicht das Versäumnis eines Ministeriums, sondern die Kollektivbequemlichkeit der gesamten Regierung, mit der sie freilich in Westeuropa nicht alleine war. Ein geordnetes Verfahren, um Verirrte aus Syrien zurückzunehmen, tut not.

Pressekontakt:

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Telefon: 030/887277 - 878
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