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Berliner Morgenpost: EZB darf nicht nachlassen
Leitartikel von Tobias Kisling

Berlin (ots)

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in den letzten zwei Jahren viel falsch gemacht. Zu lange hielt sie an den Null- und Negativzinsen fest, als die Inflation im Euroraum durch die gestörten Lieferketten in der Corona-Pandemie längst über das angestrebte Ziel von 2 Prozent geklettert war. Zu lange glaubten die Notenbanker, es werde sich schon wieder alles richten, wenn die Pandemie in wichtigen Märkten wie China ihren Schrecken verlöre. Nun funktionieren die Lieferketten wieder, die Pandemie ist in den wichtigsten Volkswirtschaften für beendet erklärt worden. Doch der brutale russische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die Realitäten verändert.

Geradezu aus der Zeit gefallen wirkt es im Rückblick, dass vor einem Jahr die EZB sich noch dagegen sträubte, überhaupt an der Zinsschraube drehen zu wollen. Der Krieg und die darauffolgenden Verwerfungen an den Energiemärkten erwischten die Währungshüter in Frankfurt kalt. Die Inflation lief komplett aus dem Ruder. Das Zaudern und Zögern der EZB, während ihr amerikanisches Pendant, die Fed, entschlossener zu Werke ging, forcierte zudem die Schwäche des Euro.

Aber: Die EZB hat aus ihren Fehlern gelernt. Jetzt zeigt sie die Entschlossenheit, die ihr so lange fehlte. Nun erhöhte sie die Leitzinsen sogar stärker als die Fed. Während viele mittlerweile schon aufatmen, wenn die Inflationsrate in einem Monat mal nicht mehr zweistellig ist, Ökonomen davon sprechen, dass der Inflationspeak überschritten sei, sind die Signale aus Frankfurt eindeutig: Die aktuelle Teuerungsrate ist viel zu hoch.

Zweifelsohne ist sie das. Die Bundesbank und auch die Wirtschaftsweisen rechnen für das laufende Jahr in Deutschland mit Inflationsraten jenseits der sieben Prozent. Selbst wenn sich die zuletzt sinkenden Energiepreise nicht als trügerische Hoffnung auf Jahressicht entpuppen und die Teuerungsrate drücken, wäre auch eine Inflationsrate von 6 Prozent immer noch dreimal so hoch wie angestrebt.

In Zeiten hoher Inflation gibt es nur wenige Gewinner. Schuldner, ob privat oder staatlich, können dazu zählen, ebenso wie Unternehmen mit einer starken Preissetzungsmacht. Manche von ihnen heizten die Inflation noch an - etwa Energiekonzerne, die im vergangenen Jahr dick Kasse machten. Umso mehr Verlierer gibt es auf der anderen Seite. Inflation trifft jene besonders hart, die für schmale Gehälter arbeiten und wenig Rücklagen haben. Sie trifft aber auch das Gemeinwesen als solches. Nicht nur in Form von milliardenschweren Hilfen, die sich auf die Haushaltskassen von Bund, Ländern und Kommunen niederschlagen. Sondern auch in Form von Frust und Wut, wenn sich das Gefühl ergibt, dass Arbeit weniger wert sein wird. Es ist eine denkbar ungünstige Kombination für eine durch die Pandemie schon angespannte und ausgezehrte Gesellschaft.

Wichtiger als die Frage, ob die weiteren Zinsanhebungen der EZB nun konkret 0,75, 0,5 oder 0,25 Basispunkte betragen, ist daher der lange Atem, den EZB-Chefin Christine Lagarde haben möchte: Es wird so lange an der Zinsschraube gedreht, bis man die Inflation in den Griff bekommt.

Das mag die Sorgenfalten von hoch verschuldeten Ländern wie Griechenland oder Italien tiefer werden lassen. Aber: Die Unkenrufe der Crash-Propheten, die jegliche Zinsanhebungen gleichsetzen mit dem Ende der Eurozone und der Gemeinschaftswährung als solche, bewahrheiten sich aktuell nicht. Im Gegenteil. Gerade hob die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit Griechenlands an.

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