Berliner Morgenpost
Nahöstlicher Teufelskreis
Leitartikel von Politik-Korrespondent Michael Backfisch
Berlin (ots)
Wieder einmal wird Israel von einer Terrorwelle überrollt. Am Pessachfest, an dem sich Familien und Freunde eine festliche Auszeit vom hektischen Alltag gönnen, hagelte es Raketen aus dem Gazastreifen und dem Libanon. Israels Luftwaffe antwortete mit massiven Angriffen auf die mutmaßlichen Urheber der Attacken. Es ist die tödliche Routine aus Schlag und Gegenschlag. Das Bedrückende daran: Die Hamas, die sunnitisch-islamistische Terrororganisation der Palästinenser, und die israelische Regierung haben sich in eine Feindschaft verbissen, die nur Eskalation kennt. Das Ergebnis ist ein Teufelskreis aus Gewalt und Gegengewalt, der in noch härtere Gewalt und Gegengewalt mündet.
Die vor allem aus dem Gazastreifen heraus operierende Hamas nutzt die innenpolitische Schwächephase Israels brutal aus. Der Streit um die Justizreform, die Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer Art kaltem Putsch durchdrücken wollte, hat das Land polarisiert wie nie. Dass der Premier den gegen die Justizreform rebellierenden Verteidigungsminister Joav Gallant feuerte, ohne ihn zu ersetzen, ist kurzatmig, stur und politisch dumm. Das Amt ist zu wichtig, um es in einem derartigen Schwebezustand zu belassen.
Die Terroristen der Hamas sehen ihre Chance, Israel empfindlich zu treffen. Sie instrumentalisieren bei ihren Raketenangriffen nicht nur die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Neu ist, dass sie auch die Flüchtlingslager der Palästinenser im Libanon für ihre Zwecke missbrauchen. Ihr zynisches Kalkül: Sie setzen darauf, dass der Frust der in miserablen Zuständen lebenden Menschen in Hass gegen Israel umschlägt. Dass sich die Raketenattacken zu einem zweiten Libanonkrieg hochschaukeln, ist allerdings unwahrscheinlich. Der Zedernstaat wird von einer schweren Wirtschaftskrise gebeutelt. Die politische Klasse ist durch Korruption gelähmt, das Land geschwächt. Die Regierung hat nicht die Kraft, terroristische Gruppierungen in Schach zu halten.
Dennoch muss sich das Kabinett Netanjahu kritische Fragen stellen lassen. Bei allem Bemühen, gewaltsame Ausschreitungen auf dem auch den Juden heiligen Tempelberg in Jerusalem zu verhindern: Der Polizeieinsatz in der Al-Aksa-Moschee war überzogen. Die Bilder von prügelnden Sicherheitskräften, die mit Gummigeschossen und Blendgranaten gegen palästinensische Jugendliche vorgingen, befeuerten die Hamas-Propaganda.
Besser wäre es gewesen, wenn sich die Regierung im Vorfeld eine Strategie der Deeskalation überlegt hätte. Der Tempelberg ist ein extrem sensibler Ort. Die Gefahr, dass religiöse Empfindlichkeiten verletzt werden, ist hoch. Umso behutsamer muss die Politik vorgehen, Provokationen antizipieren und nach Möglichkeit Spannungen über Gesprächskanäle abbauen.
Davon ist Netanjahu meilenweit entfernt. Er ist vielmehr in einer Mechanik der Vergeltung gefangen, die den Konflikt verschärft. Israels Regierung muss den Palästinensern an irgendeinem Punkt ein Angebot der wirtschaftlichen und politischen Teilhabe machen. Nur so kann sie die palästinensische Zivilbevölkerung gewinnen und den Terroristen den Nährboden entziehen.
Was passieren kann, wenn Diplomatie über ihren Schatten springt, lässt sich in einer anderen Region in Nahost besichtigen. Unter Vermittlung Chinas haben die Erzfeinde Iran und Saudi-Arabien zu einer spektakulären Annäherung gefunden. Alte Schablonen ablegen und neue Wege andenken: Das fehlt Netanjahu.
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