"Berliner Morgenpost": Vertrauen zerstört - Leitartikel von Jan Dörner zur Trauzeugen-Affäre von Habecks Staatssekretär
Berlin (ots)
Es ist weder verwerflich noch verwunderlich, dass Politiker Vertraute mitnehmen, wenn sie Regierungsämter übernehmen. Olaf Scholz hat seinen langjährigen Gefährten Wolfgang Schmidt zum Kanzleramtschef gemacht. Die beiden schätzen und vertrauen sich, persönlich und fachlich. Spitzenpolitiker müssen ein Team um sich haben, auf dessen Expertise sie sich verlassen können. Denn kein Mensch kann einen politischen Apparat wie ein großes Ministerium von der Spitze her allein führen und alle Vorgänge jederzeit überblicken und steuern.
Insofern ist es kein Skandal, dass Robert Habeck den Klima- und Energieexperten Patrick Graichen zu seinem Staatssekretär machte, als der Grünen-Politiker das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz übernahm. Graichen gilt als Experte auf dem Gebiet.
Es ist an sich auch kein Makel, dass Graichen vorher eine den Grünen nahestehende Denkfabrik zur Energiewende leitete. Die Grünen sind für ihre Klimapolitik gewählt worden. Um seine Vorstellungen umzusetzen, braucht Habeck entsprechende Fachleute. Das Problem im Fall Patrick Graichen ist, dass der Staatssekretär sich tief ins Dickicht eines Interessenkonflikts begeben hat, der ihn und Habeck nun politisch schwer belastet.
Das Ministerium hatte mit Amtsantritt erkannt, dass Graichens familiäre Verbindungen heikel sind. Ein Bruder und eine Schwester arbeiten beim Öko-Institut. Die Einrichtung erhält Aufträge vom Bund. Graichens Schwester ist zudem mit Michael Kellner verheiratet - ebenfalls Staatssekretär von Robert Habeck und somit Mitglied der Führungsetage im Bundeswirtschaftsministerium. Um sich wegen dieser Verwandtschaftsverhältnisse nicht angreifbar zu machen, hatte das Ministerium zu Beginn der Legislaturperiode festgelegt, dass Patrick Graichen und Michael Kellner mit der Vergabe von Aufträgen etwa an das Öko-Institut nicht befasst werden.
Umso unverständlicher ist, dass Graichen dennoch an dem Prozess zur Auswahl des neuen Geschäftsführers der Deutschen Energie-Agentur beteiligt war, obwohl sein Trauzeuge zum Kandidatenkreis zählte. Richtig unappetitlich wurde es dadurch, dass sich am Ende ausgerechnet der Trauzeuge des Staatssekretärs über die Berufung auf den Posten freuen konnte. Dass Graichen erst im Nachhinein erkannt haben will, dass er eine Grenze überschritten hat, lässt an seinem Urteilsvermögen zweifeln.
Die Grünen sind stets mit erhobenem Zeigefinger durch die Republik gelaufen, wenn es Lobbyismus, Vetternwirtschaft oder persönliche Verfehlungen der politischen Konkurrenz zu kritisieren gab. Die Partei und ihr Umfeld schoben eine Bugwelle der Empörung vor sich her. Nun wollen Habeck und die Grünen selbst unter dieser Welle wegtauchen. Ein bedauerlicher, aber heilbarer Fehler - so nennt das Ministerium die Trauzeugen-Affäre.
Bedauerlich: mindestens, heilbar: nur insofern, dass das Berufungsverfahren wiederholt werden kann. Politisch ist der entstandene Eindruck jedoch fatal und nicht so leicht wegzuwischen, wie der ohnehin derzeit unter Druck stehende Wirtschaftsminister Robert Habeck es sich wünscht.
Wenn die Opposition nun von Clanstrukturen und mafiösen Zuständen redet, holt sie natürlich das rhetorische Kantholz heraus, um die Regierenden zu treffen. Aber es ist genau dieser Eindruck, der zum Schaden der gesamten politischen Klasse in Teilen der Bevölkerung durch solche Vorgänge entsteht.
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