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Berliner Morgenpost: So nah wie nie/Selenskyj-Besuch markiert Neubeginn der Beziehungen zur Ukraine - Leitartikel von Michael Backfisch

Berlin (ots)

So nah waren sich Deutschland und die Ukraine noch nie. Der Besuch des ukra­inischen Präsidenten Wolodymyr Selen­skyj in Berlin und Aachen markiert einen Einschnitt in den bilateralen Beziehungen. Das signalisieren die politischen Botschaften und die Körpersprache an dem Tag. Der lange Handschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Selenskyj, Selenskyjs Lob für Deutschland als "wahrer Freund" und "verlässlicher Verbündeter", seine Wertschätzung der "fantastischen Solidarität" der deutschen Bevölkerung heben dies hervor.

Dazu passt - als Gastgeschenk - das deutsche Rüstungspaket in Höhe von 2,7 Milliarden Euro an die Ukraine. Auch wenn ein Teil davon bereits früher angekündigt war: Waffen wie Kampfpanzer vom Typ Leopard1A5 und die Luftabwehrsysteme Iris-T werden in dem von Russland angegriffenen Land dringend benötigt. Deutschland leistet damit nach den USA die zweitgrößte Militärhilfe.

Der 14. Mai 2023 steht für das Ende der tiefgreifenden Irrungen und Wirrungen zwischen Berlin und Kiew. Die Irritationen begannen Ende Januar 2022 mit der Ankündigung von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), die Ukra­ine mit 5000 Schutzhelmen auszustatten. Die Ukrainer hatten sich angesichts des gewaltigen Truppenaufmarsches der Russen viel mehr erhofft.

Scholz' Zögerlichkeit bei der Frage der Waffenlieferungen kurz nach Kriegs­beginn traf in Kiew auf tiefes Misstrauen: Der Bundesregierung gehe es nur um die Rettung des Bezugs von billigem Gas aus Russland, lautete der Verdacht. Das alles ist nun ausgeräumt. Scholz wechselte bei der Frage der militärischen Unterstützung vom Bremser zum Schrittmacher in Europa. Nach dem jüngsten Waffenpaket adelte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak den Kanzler mit einer "Führungsrolle". Gleichwohl werden die Ukrainer mit der Forderung nach west­lichen Kampfjets weiter Druck machen.

Der 14. Mai 2023 unterstreicht nicht nur den neuen Gleichklang zwischen Deutschland und der Ukraine. Er symbolisiert auch eine noch engere Verbindung zwischen der Ukraine und der EU. Mit der Verleihung des renommierten Aachener Karlspreises an Selenskyj und das ukrainische Volk rückt die Europäische Union nach Osten. Der Preis, der den Einsatz für "Europa und die europäischen Werte" würdigt, wertet die Verteidigungsschlacht der Ukrainer gegen die russischen Invasoren auf. Zugespitzt formuliert: Die Ukrainer wehren eine Aggression ab und stehen damit für die ureuropäischen Werte Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte. Sie sind eine Art Sicherheitsvorposten gegen den imperialistischen Expansionskurs des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der Belarus, die Ukraine und Russland als "ein Volk" vereinen will. Scholz spannte in seiner Aachener Laudatio den Bogen des europäischen Freiheitskampfes von der Solidarnosc-Bewegung in den 80er-Jahren über den Mauerfall bis zu den Maidan-Protesten 2013 und 2014.

Die EU definiert sich derzeit über den Ukraine-Krieg neu. Nach jahrelangen mühsamen Kämpfen um Kompromisse bei Haushaltsfragen oder Flüchtlingspolitik wird die Abwehr von Aggression zu einer neuen Herausforderung. Es gilt, die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren in einer kollektiven Anstrengung zu bewahren. Die Verteidigung der Freiheit wird Teil der politischen DNA der EU. Auch wenn der Beitritt der Ukraine noch Jahre dauern wird: Daraus erwächst eine lang anhaltende Verpflichtung. Der Kanzler hat dies deutlich gemacht.

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