Berliner Morgenpost: AfD greift nach der Macht
Leitartikel von Jörg Quoos
Berlin (ots)
Es ist gute zehn Jahre her, dass ein etwas schrulliger Wirtschaftsprofessor aus Hamburg eine Partei gründete, die den Euro abschaffen und die europäische Euro-Rettungspolitik verhindern wollte. Beim Gründungsparteitag am 13. April 2013 im Saal des Berliner Interconti war die Euphorie der 1500 Gründer - es waren überwiegend Männer - groß.
Es war die Geburtsstunde der "Alternative für Deutschland", die schon damals den bestehenden Parteien ein Dorn im Auge war. Aber nicht, weil sie früh als rechtsextrem verortet wurde, sondern weil sie unliebsame Konkurrenz war. Das gehört zur Wahrheit, wenn man über die heutige AfD urteilt.
Aus dem Neuling AfD ist über die Jahre eine Partei geworden, die sich beständig aus einem zutiefst bürgerlichen Lager an den ganz rechten Rand gearbeitet hat. Hans-Olaf Henkel, Ex-BDI-Präsident und einer der Gründer, hat es nach seinem Ausstieg aus der AfD so formuliert: "Am Anfang wurden wir als Professorenpartei verunglimpft. Dann begannen Altparteien und Medien das Mantra von der rechtspopulistischen Partei zu wiederholen. Meiner Beobachtung nach haben erst danach Rechtspopulisten gesagt: Oh, da gibt es eine neue Partei für uns, da treten wir ein. Unser Fehler war, das zu spät gemerkt zu haben."
Es ist fast müßig zu debattieren, ob Henkel mit dieser Analyse recht hat, denn die Partei hat bis heute längst Fakten geschaffen. Sie ist mittlerweile Lichtjahre von den enttäuschten Professoren entfernt. Die AfD ist auf strammem Rechtskurs und zieht gleichzeitig immer mehr Wählerinnen und Wähler an.
Laut jüngsten Umfragen würden 20 Prozent ihr Kreuz bei der AfD machen, wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären. Das heißt: Aktuell unterstützt jeder fünfte Deutsche im wahlfähigen Alter eine Partei, die der Verfassungsschutz wegen verfassungsfeindlicher Strömungen, Hass und Hetze gegen Minderheiten, Muslime, Migranten und Homosexuelle als rechtsextremen Verdachtsfall führt und Teile der Partei bereits beobachtet.
Die Frage "Wie umgehen mit der AfD?" ist längst beantwortet. Keine Partei will mit ihr gemeinsame Sache machen. Die Auseinandersetzung muss über die öffentliche Debatte mit den besseren Argumenten stattfinden, denn Ignorieren und Totschweigen hilft nicht. Das ist die Lehre der vergangenen Jahre.
Besonders hart muss man die Partei bei dem Versuch stellen, die deutsche Geschichtsschreibung zu klittern. Der Versuch, die Zeit des Nationalsozialismus als "Fliegenschiss" zu verharmlosen, war bodenlos. Und man muss ihre erstaunliche Ideenlosigkeit anprangern. Das programmatische Angebot, dass alles so bleiben sollte wie früher, mag für viele Menschen verlockend sein. Aber es ist keine verantwortliche Politik in einer Welt, die durch Kriege, Umweltzerstörung und durch mächtige Autokraten aus den Fugen gerät.
Jetzt will die Partei mit einem eigenen Kanzlerkandidaten oder einer -kandidatin ins Rennen gehen. Das erscheint verwegen, aber damit zeigt die AfD, wie selbstbewusst sie zur Macht drängt. Ihre treue Kernwählerschaft wird das gut finden. Aber der angekündigte Schritt muss denen zu denken geben, die aus Protest sympathisieren.
Denn es ist ein großer Unterschied, ob man den "Etablierten" in der Anonymität der Wahlkabine eins auswischen oder ob man von einem AfD-Kanzler wirklich regiert werden will. Jetzt heißt es Farbe bekennen - für die Demokratie.
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