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"Berliner Morgenpost": Kampf an vielen Fronten
Leitartikel von Christian Unger zum Antisemitismus

Berlin (ots)

Wie perfide der Mord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden durch Deutsche und ihre Handlanger missbraucht wird, zeigt eine Webseite eines radikalen deutschen Abtreibungsgegners. Dort wird vom "Babycaust" gesprochen, in Anlehnung an den Holocaust. Dort werden OP-Säle in Kliniken heute mit Konzentrationslagern der Nationalsozialisten verglichen - als hätte die rassistische Mordmaschinerie der Nazis irgendetwas mit der (sicherlich emotionalen) Debatte über den gesetzlich restriktiv geregelten Schwangerschaftsabbruch in Deutschland zu tun.

Der Fall zeigt: Verharmlosung von NS-Verbrechen und Verunglimpfung des Leids der Jüdinnen und Juden im selbst ernannten Dritten Reich sind Alltag in Deutschland. 90 Jahre, nachdem die Nationalsozialisten die Macht erhielten. Je länger der Massenmord zurückliegt, desto größer ist die Gefahr, dass die Verbrechen in der Debatte in Deutschland verblassen. Dass die Verantwortung, die wir alle tragen, in Vergessenheit gerät. Dass Jüdinnen und Juden wieder Angst haben müssen im Land der Täter.

Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) hat für das vergangene Jahr 2480 antisemitische Vorfälle erfasst. Das sind knapp sieben Vorfälle pro Tag. Antisemitismus in Deutschland bleibt auf einem hohen Niveau.

Vor allem zeigt sich: Jüdinnen und Juden werden an vielen Fronten attackiert - verbal und manchmal auch körperlich. Der Generalbundesanwalt ermittelt zu zwei Anschlägen auf Synagogen in Nordrhein-Westfalen. Eine Spur der Sicherheitsbehörden führt in den Iran. Der Geheimdienst des Mullah-Regimes agiert auch in Deutschland. Ei­ner ihrer größten Feinde: die Juden und Israel.

Ebenso gravierend wie Gewalt sind die antisemitischen Narrative, die Extremisten immer wieder gezielt in den Alltag der Sprache einfließen lassen. Wenn vom "Bevölkerungsaustausch" durch Migration die Rede ist, steckt dahinter oft eine angebliche "Elite" aus "Globalisten" - es sind krude Anspielungen auf eine mutmaßliche jüdische Weltverschwörung. Auch AfD-Politiker verbreiten diese Ideologie.

Durch das Ende der Corona-Debatten ist der Antisemitismus in einer polarisierten Gesellschaft zurückgedrängt worden. Demonstrierende, die sich den "Judenstern" an den Arm binden und sich als Ungeimpfte mit den Opfern des Holocaust vergleichen, sind zum Glück nur noch selten zu sehen.

Doch Antisemiten passen sich an, suchen neue Schablonen für ihren Hass: War es in den vergangenen Jahren die Pandemie, wächst nun der Antisemitismus im Schatten des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Auch hier verbreiten Ideologen, dass eine verschwörerische Elite des Westens den Krieg angezettelt habe.

Im Alltag werden Jüdinnen und Juden beleidigt und beschimpft - sei es an der Schule, wo "Jude" manchen Jugendlichen als Schimpfwort gilt, oder in der Kunst, wo Künstlerkollektive unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit judenfeindliche Hetze verbreiten. Sei es in sozialen Medien im Internet, wo schon jede dritte registrierte antisemitische Tat spielt.

90 Jahre nach Beginn der NS-Herrschaft ist Antisemitismus an vielen Fronten auf dem Vormarsch. Gegen diesen Alltag muss sich die Gesellschaft zur Wehr setzen. In Polizei und Verfassungsschutz, in der Politik, an Schulen, im Kulturbetrieb. Jüdinnen und Juden müssen sich nicht selbst verteidigen. Es ist die Verantwortung aller, dass sie hier in Deutschland sicher leben können.

Pressekontakt:

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Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

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