Berliner Morgenpost: Lindners Feldschlacht
ein Kommentar von Jan Dörner zur Lage des FDP-Chefs
Berlin (ots)
Man glaubt Christian Lindner, dass er es in diesen Tagen nicht leicht hat. "Ich gehe durch diesen Hagelschauer mit faustgroßen Hagelkörnern", schilderte der FDP-Vorsitzende in einer Talkshow sein Gefühlsleben. Diesen Wolkenbruch hat er jedoch mitverschuldet. Die FDP steht unter einem Druck, der die Partei zum Bersten bringen könnte. Zunächst hatte die Parteispitze es empört von sich gewiesen, dass es in der FDP unter dem geschmacklos gewählten Schlagwort "D-Day" Planungen zum gezielten Bruch der Ampel-Koalition gegeben haben könnte.
Inzwischen ist aber klar: Nicht allzu weit unter der - bei der FDP kleinen und vollkommen auf Lindner ausgerichteten - Parteispitze ist genau so ein Dokument entstanden. Martialische Begriffe wie "offene Feldschlacht" für die Auseinandersetzung mit den Koalitionspartnern inklusive. Entsprechend groß ist die öffentliche Kritik an der Partei und ihrem Vorsitzenden. Lindner sieht sich deswegen nicht nur im Hagelschauer stehen, sondern auch in einer "Machtauseinandersetzung" mit SPD und Grünen über die Deutung des Koalitionsbruches und beklagt im Fernsehen ein mediales "Tribunal".
Pardon - für einen Politikprofi ist das zu viel Selbstmitleid für die Misere, in die er sich selbst gebracht hat. Unter ihm ist in der Parteizentrale eine Stimmung entstanden, in der sich die FDP offenbar nicht nur rhetorisch im Kampf mit den Koalitionspartnern und damit der eigenen Regierung gesehen hat. Lindner verweist zurecht darauf, dass die Ampel am Ende gewesen ist, weil sie keine Kompromisse mehr gefunden hat. Das zunächst von der Partei geleugnete Dokument wirft jedoch die Frage auf, welche Rolle die FDP aktiv dabei gespielt hat.
Danach gefragt, reagiert Lindner gereizt. Er bedauert Fehler, benennt diese aber nicht eindeutig. Der Parteichef spricht von Mängeln in der Krisenkommunikation, schiebt diese aber auf untere Ebenen. Er distanziert sich von dem Papier in einem und verteidigt es im nächsten Atemzug. Der FDP-Vorsitzende beteuert, das Dokument habe "politisch überhaupt gar keine Bedeutung" gehabt, bestätigt aber ebensolche Planungen auch für ein aktives Ausstiegsszenario. Lindner bekennt sich zu seiner Gesamtverantwortung für das Geschehen in der Partei, übernimmt diese aber nicht. Stattdessen spielt Lindner die Ereignisse gegenüber den Wählerinnen und Wählern herunter: Es sei wie bei ihnen zu Hause, da werde doch intern auch "manches gesagt und manches aufgeschrieben, was bei näherer Betrachtung nicht akzeptabel ist". Nun ist der familiäre Küchentisch aber etwas anderes als der Maschinenraum einer Partei, die vom Wahlvolk den Auftrag erhalten hat, Verantwortung für das Land zu übernehmen. Als wäre ihm diese Schwäche seiner gesamten Argumentation bewusst, bittet Lindner mit Blick auf die vorgezogenen Neuwahlen: "Orientieren Sie sich dabei nicht an der Vergangenheit, sondern an dem, was Sie für Ihre Zukunft für richtig halten."
Es ist ein kurioses Anliegen: Natürlich spielen Wahlversprechen, Ideen und Konzepte eine Rolle, wenn Wähler sich entscheiden, welcher Partei sie ihr Vertrauen schenken. Aber Wahlergebnisse sind auch ein Zeugnis für das Geleistete. Die Bilanz der Ampel-Koalition ist für alle drei Beteiligten eine Belastung bei dieser Wahl. Lindner spricht dies in Bezug auf SPD und Grüne auch hart an. Für sich selbst und seine FDP fordert er mit Blick auf die Geschehnisse der letzten Wochen und Monate hingegen einen Freifahrtschein. Es ist die Strategie eines Verzweifelten.
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