Berliner Morgenpost: Kommentar - Tempodrom-Affäre
Berlin (ots)
Mit der Anklageerhebung gegen den ehemaligen SPD-Chef und Stadtentwicklungssenator Peter Strieder und Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat die Krise um den Neubau des Tempodrom am Anhalter Bahnhof einen neuen Höhepunkt erreicht. Spätestens jetzt hat der Skandal auch das Herz der Politik, das heißt den Berliner Senat getroffen. Der Druck vor allem auf den gerade erst genesenen Finanzsenator Sarrazin wächst. Dass ausgerechnet er als erster im Tempodromkomplex angeklagt wird, ist dabei ein Anachronismus. Mehr zähneknirschend als begeistert hatte Sarrazin der erneuten Unterstützung des Veranstaltungszeltes aus Beton zugestimmt und sich damit dem Willen der meisten Parlamentarier unterworfen. Von allen beteiligten Personen hatte er am wenigsten mit dem Bau des Wolkenkuckucksheimes am Anhalter Bahnhof zu tun. Doch das ist für die juristische Aufarbeitung nicht von Bedeutung. Dabei ist der Ausgang völlig offen. Die Staatsanwaltschaft weiß von der Pilotwirkung ihres Verfahrens. Die politische Entscheidung, das Tempodrom zu retten, mit einem Untreuevorwurf gegen die Beteiligten zu belegen, ist juristisches Neuland. Sollte das zuständige Gericht sich weigern, den Prozess zu eröffnen, holen sich die Ankläger ein ganz dickes blaues Auge.
Die Folgen der Anklage für die Politik sind dennoch verheerend. Das Tempodrom ist in den vergangenen Monaten zur politischen Konstante geworden und hat die Arbeit des Senates erschwert. Jetzt tritt sie ins Zentrum des Geschehens - zum Leidwesen des Senates, der auch ohne diese Zuspitzung des Skandals unter schwindender Wählergunst leidet. Der Rücktritt Strieders im Frühjahr und die Anklage gegen Sarrazin belasten das Klima der Koalition schwer. Die anhaltende Spardebatte erlaubt es der Regierung auch nicht, die Wähler mit guten Nachrichten für sich zu gewinnen. Bundesweit haben die Sozialdemokraten darüber hinaus mit den Folgen der Hartz-Reform und den Profilierungsversuchen der PDS mit ihr zu kämpfen.
Ob unter diesen Umständen und dem wachsenden öffentlichen Druck Sarrazin sein Amt weiter ausüben kann, wird nicht nur von der Opposition bezweifelt. Die politischen Gesetzmäßigkeiten folgen oft schlichten Mustern. In Berlin trat vor 30 Jahren Finanzsenator Heinz Striek wegen einer drohenden Anklage vom Amt zurück. Auch Striek war über SPD-Grenzen hinaus ein angesehener Finanzfachmann. Geholfen hat es ihm nicht.
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