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Berliner Morgenpost: Kommentar - Visa-Affäre

Berlin (ots)

Für Joschka Fischer wird es immer enger. Gestern
hat er faktisch seine Fähigkeit als Minister in Frage gestellt. Sein
Eingeständnis, mit zwei Erlassen den massenhaften Mißbrauch deutscher
Visa ermöglicht zu haben und anschließend auch noch drei Jahre
zugeschaut zu haben, wiegt schwer. Fischers Eingeständnis wird jedoch
wohl nicht so funktionieren, wie er es sich gedacht haben mag:
beruhigend für die grüne Seele und entlastend in der Öffentlichkeit.
Dafür kommt es zu spät, dafür war es zu schwach. Fischer kann den
Eindruck nicht vermeiden, daß ihn erst die erdrückende Last der
Belege, Aussagen und Beweise dazu gebracht hat, nun Fehler
einzugestehen. Fischer wußte genau, warum er sein Eingeständnis, das
er in bemerkenswert flache Floskeln grünen Politikverständnisses
einbettete, ausgerechnet vor dem verschüchterten grünen
Landesparteitag in Nordrhein-Westfalen abgab. Hier konnte er den
Kampf um die Macht, der für ihn noch immer ein Kampf zwischen Gut und
Böse ist, noch einmal perfekt inszenieren. Hier, an Rhein und Ruhr,
stehen die Grünen am Abgrund – und das liegt eben nicht nur an
Joschka Fischer, sondern an der Politik der „offenen Grenzen“ seiner
Partei, die er konsequent umsetzte. Man stelle sich vor, Fischer
hätte diese Stellungnahme nicht im geschützten Raum der grünen
Wärmestube, sondern vor Journalisten in Berlin abgegeben – er hätte
sogleich die Frage beantworten müssen, warum er nicht zurücktritt.
Denn wofür, wenn nicht für das Handeln und Krisenmanagement seines
Hauses, ist ein Minister sonst verantwortlich? In seiner eigenen
Partei gab es einmal die grüne Ministerin Andrea Fischer. Sie trat,
nach langer Kritik an ihrer Gesundheitspolitik, zurück, weil in der
BSE-Krise ein Schreiben einige Tage zu lang auf dem Postweg steckte.
Sie hatte keine Erlasse herausgegeben, auch nicht drei Jahre
zugeschaut, was damit passiert. Die Fähigkeit zur Selbstkritik
scheint bei den Grünen und Joschka Fischer zu sinken, je näher die
Kritik an den Kern ihres politischen Projekts gelangt. Der
Volmer-Erlaß, so Fischer, war zentraler Bestandteil grüner Politik.
Wenn Fischer nun seine Erlasse als Ursache des Mißbrauchs einräumt,
löst sich ein wesentlicher Teil grüner Regierungspolitik auf.
Eigentlich müßte Fischer sich von etwas distanzieren, das untrennbar
mit ihm und seiner Partei verbunden ist. Diese weiß längst: Hier
steht nicht nur das Amt eines ihrer Minister, sondern die Mitte ihres
Programms in Frage.
ots-Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe:
http://www.presseportal.de/story.htx?firmaid=53614

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Telefon: 030/25910
Fax: 030/25913244

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