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Berliner Morgenpost: Kommentar zu Europa

Berlin (ots)

In einer großen Krise befinde sich Europa, sagte
der amtierende EU- Ratsvorsitzende Jean-Claude Juncker nach einem
15stündigen Verhandlungsmarathon um Europas künftige Finanzen. Am
Ende einer dramatischen Nachtsitzung hatten die osteuropäischen
EU-Länder – die neuen, die ärmsten – in einer konzertierten Aktion
den Klingelbeutel in die eigenen Hände genommen und einen letzten
Rettungsversuch für Kompromißpaket gestartet. Ohne Erfolg. Eine
noble, eine beschämende Geste. Doch bleibt die Frage, ob dieses
Europa, ob die EU in ihrer derzeitigen Gestalt, überhaupt noch zu
retten ist. Ein Europa der Geheimdiplomatie und der routinierten
Unterhändler, in dem Einzelgespräche „Beichtstuhlverfahren“ heißen
und mit Geld fast jede Stimme zu kaufen ist. Der Schuldige für das
Scheitern des Krisengipfels war in Brüssel schnell gefunden: der
britische Premierminister Tony Blair. Und tatsächlich: Am Ende
sprengte der Brite den Gipfel, nachdem er alle fünf
Kompromißvorschläge ablehnte. Dabei ging es Blair nicht nur ums Geld,
sondern ums Prinzip. Eine fundamental neue Struktur des EU-Haushalts
forderte er – und meinte wohl auch: eine fundamental neue Struktur
der EU. Europa ist in einer Krise, in einer Akzeptanzkrise, in einer
politischen Krise, in einer Finanzkrise; aber vor allem in einer
Richtungskrise. Diese kann diesmal nicht durch Herumdoktern an den
Symptomen gemeistert werden. Der Weg hinaus darf kein Flickwerk sein,
darf nicht gebaut sein auf neuen, kleinteiligen Umverteilungen von
Macht und Geld. Selbstverständlich kann die EU nicht ihre
vertraglichen Grundlagen über Bord werfen. Auch wird Europa – als
eine Gemeinschaft der 25 oder mehr – immer nur im Kompromiß
funktionieren. Sehr wohl aber können grundlegende Fragen gestellt
werden: Über den britischen Beitragsrabatt ebenso wie über die
Agrarsubventionen, beides europäische Anachronismen. Und darüber,
wohin die EU steuern soll: in eine Freihandelszone, wo der rauhe Wind
des Wettbewerbs seine Auslese trifft. Oder in eine EU der politischen
Integration. So hat Tony Blair mit seiner unbeugsamen Haltung beim
Brüsseler Gipfel Europa einen Dienst erwiesen: Denn er erzwingt eine
Grundsatzdebatte über die Zukunft der EU. Das könnte die kleine
Chance in der großen Krise sein.
ots-Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe:
http://www.presseportal.de/story.htx?firmaid=53614

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Fax: 030/25913244

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