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Chemisch-pharmazeutische Industrie in Hessen mitten im Strukturwandel
Steigende Energiekosten und Lieferengpässe verlangsamen Rückkehr auf Vorkrisenniveau

Chemisch-pharmazeutische Industrie in Hessen mitten im Strukturwandel / Steigende Energiekosten und Lieferengpässe verlangsamen Rückkehr auf Vorkrisenniveau
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Wiesbaden (ots)

Die hessische Chemie- und Pharmaindustrie hat sich noch nicht vollständig aus der Corona-Krise befreit. Zudem befindet sie sich in einem weitreichenden Strukturwandel. Dieser ist durch mehr Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, EU-Chemikalienpolitik, Digitalisierung und den demografischen Wandel geprägt. Viele Unternehmen richten ihren Fokus bereits konzentriert auf die Gestaltung der Zukunft und setzen ihre Ressourcen für die Bewältigung der notwendigen Veränderungen ein, wie eine aktuelle Verbandsumfrage zeigt.

"Erfreulich ist, dass die Branche den zum Ende des letzten Jahres eingeschlagenen Erholungsweg aus der Corona-Krise bislang weiter fortsetzen konnte. Allerdings nehmen die Hindernisse derzeit spürbar zu, etwa durch Lieferengpässe und eine Verteuerung von Energie und Rohstoffen", so der Vorstandsvorsitzende des Arbeitgeberverbandes HessenChemie, Oliver Coenenberg (Sanofi-Aventis Deutschland GmbH), im Rahmen des Herbstpressegesprächs der Chemieverbände Hessen. Von Normalität sei die Branche noch weit entfernt.

Verglichen zum Vorjahr lag der Gesamtumsatz der chemisch-pharmazeutischen Industrie bis August mit 20,2 Milliarden Euro um 14,0 Prozent höher. Die Produktion verzeichnete einen Zuwachs von 6,9 Prozent, die Verkaufspreise stiegen um 6,2 Prozent. "Diese Zuwächse sind von Erholungseffekten gegenüber dem Corona-Krisenjahr 2020 geprägt und noch nicht Ausdruck fortgesetzten Wachstums", erläutert Coenenberg.

Mit rund 11,2 Milliarden Euro stiegen die Umsätze in den klassischen Chemiesparten bis August um 15,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Die Produktion legte um 6,9 Prozent zu. Zum Vergleich: Von Januar bis August 2020 war die Produktion um über 5 Prozent und die Umsätze um knapp 10 Prozent zurückgegangen. "An der konjunkturellen Berg- und Talfahrt der klassischen Chemie hat sich damit in den letzten Jahren wenig geändert", so Coenenberg.

Im konjunkturunabhängigeren Pharmasektor sei die Entwicklung hingegen deutlich weniger von Erholungseffekten beeinflusst. Im Vergleich zu 2020 legte der Umsatz mit 9 Milliarden Euro um 12,4 Prozent zu. Die Produktion stieg um 6,7 Prozent.

Zunehmende Herausforderungen trüben positive Grundstimmung

Eine eher optimistische Grundstimmung ergibt sich aus einer Verbandsumfrage, die der Arbeitgeberverband HessenChemie im Oktober durchgeführt hat: 77 Prozent der Unternehmen bewerten demnach ihre derzeitige Wirtschaftslage besser als im Vorjahr. 64 Prozent erwarten für 2022 Umsatzzuwächse.

Allerdings sehen sich auch viele Unternehmen in ihrer weiteren wirtschaftlichen Entwicklung durch gleich mehrere Faktoren besonders belastet. 84 Prozent geben an, dass ihr künftiges Geschäft durch steigende Rohstoffpreise beeinträchtigt wird. 68 Prozent benennen Lieferengpässe bei Vorprodukten, 64 Prozent steigende Energiepreise, 55 Prozent Logistikprobleme und 46 Prozent steigende Arbeitskosten als größte Belastungsfaktoren für das Jahr 2022.

Neue Bundesregierung muss Zukunftsthemen jetzt klug gestalten

Mit Blick auf die neue Bundesregierung fordert Coenenberg: "Wir brauchen Tempo und klare Maßnahmen aus Berlin, damit die Industrie die vielfältigen Transformationsschritte vollziehen kann." Hierzu haben die Chemieverbände Hessen einen 8-Punkte-Forderungskatalog erarbeitet (s. nachfolgend).

Was jetzt zu tun ist! - Politischer Forderungskatalog der Chemieverbände Hessen an die künftige Bundesregierung

1. Wettbewerbsfähige Industrie unter Green Deal sicherstellen

Der Green Deal muss wirtschaftliches Wachstum und die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Industrie weiterhin strategisch ermöglichen. Die Umsetzung der EU-Chemikalienstrategie als Teil des Green Deals in jetziger Form hätte dagegen massive Einschränkungen für die chemisch-pharmazeutische Industrie und weiterverarbeitende Industrien zur Folge - vor allem dann, wenn Stoffe und Stoffgruppen im Zuge der Neuregelung verboten würden. Einer Regulierung muss eine umfassende Folgenabschätzung vorangehen. Das ist nicht nur wichtig für den Erhalt von Arbeitsplätzen und Produktion, sondern für das Gelingen der Transformation hierzulande.

  • Aktion: Ziele des Green Deals mit Wettbewerbsfähigkeit und zukunftsfähigen Arbeitsplätzen der Industrie in Einklang bringen.

2. EEG-Umlage abschaffen - Strompreis entlasten

Für eine klimaneutrale Produktion braucht unsere Branche bis zu 600 TWh Grünstrom pro Jahr - das ist mehr als der jährliche Stromverbrauch in Deutschland insgesamt. Es braucht jetzt realitätsnahe und innovative Konzepte zum Ausbau erneuerbarer Energien, der Netzinfrastruktur und der Wasserstoffwirtschaft zu günstigen Preisen. Nur mit einem wettbewerbsfähigen Strompreis kann die Transformation in Deutschland gelingen.

  • Aktion: Gesetzesinitiative zur Abschaffung der EEG-Umlage vorlegen und Stromversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen gewährleisten.

3. Mehr Tempo bei Planungs- und Genehmigungsverfahren

Effiziente, digitale und rechtssichere Genehmigungsverfahren sind die Basis für eine erfolgreiche Industrie und gute Infrastruktur. In komplexen Prozessindustrien - wie der Chemie- und Pharmabranche - sind modulare Produktionsanlagen essenziell, um schnell und flexibel den Anforderungen entsprechend produzieren zu können. Schnelle Genehmigungsverfahren tragen hier zu schnellem Fortschritt bei. Daher muss die neue Bundesregierung nun zeitnah das deutsche Genehmigungsrecht durch ein Planungs-modernisierungsgesetz aktualisieren. Für eine Verkürzung und Straffung der Verfahren brauchen wir alle Ebenen, von der EU über Bund und Land bis zu den Kreisen und Kommunen.

  • Aktion: Gesetzesinitiative für eine umfassende Modernisierung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren verabschieden und umsetzen.

4. Steuerliche Forschungsförderung weiter ausbauen und vereinfachen

Deutschland braucht einen Innovationsschub. Hierzu bedarf es einer stärkeren steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung. So werden langfristig Arbeitsplätze, Wertschöpfung und steigende Steuereinnahmen gesichert. Zur Förderung müssen auch Technologien wie das chemische Recycling, die Wasserstofferzeugung und die Biotechnologie zählen. Gemessen am BIP sollten Wirtschaft und Staat mittel- bis langfristig 3,5 Prozent in Forschung und Entwicklung investieren.

  • Aktion: Steuerliche Forschungszulagen substanziell erhöhen.

5. Sozialversicherungssysteme stabilisieren - Beitragslast begrenzen

Rente, Gesundheit oder Pflege: Wer die Sozialversicherungen erhalten will, der muss sie reformieren. Wir brauchen Anpassungen unserer Alterssicherungssysteme, damit die gesetzliche Rentenversicherung tatsächlich nachhaltig leistungsfähig und finanzierbar bleibt.

Die Pflegeversicherung ist stärker als alle anderen Sozialversicherungszweige vom demografischen Wandel betroffen. Daher muss sie auf der Finanzierungs- wie auf der Leistungsseite umfassend reformiert werden. Weitere Belastungen und Regulierungen der Beitragszahler müssen ausbleiben.

  • Aktion: Festlegung auf die dauerhafte Einhaltung des 40-Prozent-Grenze bei den Sozialabgaben und gesetzliche Umsetzung der notwendigen Reformen.

6. Unternehmerische Freiheit und Flexibilität gewährleisten

Damit die Unternehmen wieder durchstarten können, brauchen sie Spielraum für Innovation und erfolgreiches unternehmerisches Handeln. Die Unternehmen setzen dabei auf ihre qualifizierten Belegschaften. Sie benötigen aber auch die Flexibilität beim Einsatz von Arbeitskräften über Zeitarbeit, Werkvertrag oder Befristungen. Neue einseitige Ansprüche (z. B. "Recht auf Homeoffice") sind kontraproduktiv.

  • Aktion: Keine neuen Einschränkungen bei befristeten Arbeitsverträgen - notwendige Spielräume müssen erhalten bleiben.

7. Arbeitszeit: New Work muss New Normal werden

In der betrieblichen Praxis findet sich eine Vielzahl flexibler Arbeitsmodelle. Es ist jetzt an der Zeit, endlich das deutsche Arbeitszeitrecht an die EU-Arbeitszeitrichtlinie anzupassen. Die rechtlich zulässige Höchstarbeitszeit soll auf die Arbeitswoche und nicht auf den Arbeitstag bezogen werden. Öffnungsklauseln in Tarifverträgen ermöglichen es, die Ruhezeiten praxisnäher zu handhaben. Von dieser Flexibilität profitieren Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

  • Aktion: Höchstarbeitszeit von einer täglichen auf eine wöchentliche Betrachtung umstellen.

8. Fachkräftesicherung von außen und innen gewährleisten

Fachkräftemangel bleibt ein Topthema für die deutsche Wirtschaft und für die Wettbewerbsfähigkeit in den kommenden Jahren. Deutschland muss attraktiver für internationale Fachkräfte werden. Die Verfahren für eine gezielte und qualifizierte Fachkräftezuwanderung müssen vereinfacht, beschleunigt und entbürokratisiert werden. Fachkräftesicherung bedeutet auch: die Modernisierung und Digitalisierung der Schulen - auch der Berufsschulen - beschleunigen und die kontinuierliche Weiterbildung in der Arbeitswelt forcieren. Letzteres ist Aufgabe der Betriebe und der Sozialpartner.

Aktion: Fachkräftezuwanderung erleichtern, Modernisierung der Schulen beschleunigen, Verantwortung für Weiterbildung in den Unternehmen belassen.

Pressekontakt:

Arbeitgeberverband Chemie und
verwandte Industrien für das Land Hessen e.V.
Jürgen Funk, Pressesprecher
Telefon 0611/7106-49
Murnaustraße 12, 65189 Wiesbaden
E-Mail: funk@hessenchemie.de
Internet: www.hessenchemie.de

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