WirtschaftsWoche/Standpunkt: Wehe uns!; von Chefredakteur Stefan Baron
Düsseldorf (ots)
Wehe uns!
Das hat gesessen. Die getroffene Meute heult: Unterste Schublade (Regierungssprecher Béla Anda), bösartig (SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter), hirnrissig (Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement), unverantwortlich (Grünen-Fraktionschefin Krista Sager).
Die Empörung von Rot-Grün über die Vorwürfe des bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber lässt tief blicken. Die Feststellung, das Versagen der Regierung im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gebe den Neonazis Auftrieb, ist eigentlich banal: Natürlich erleichtert Massenarbeitslosigkeit den Neonazis das Geschäft. Dass ausgerechnet Rot-Grün dies so heftig bestreitet, grenzt schon ans Lächerliche: Wer alles, aber auch alles, selbst den fundamentalistischen Terrorismus, für ein soziales Problem hält und mit Sozialpolitik bekämpfen will, kann den Radikalismus der Neonazis davon wohl schlecht ausnehmen. Entweder das Sein bestimmt das Bewusstsein oder nicht.
Zum schlimmen Sein kommt für immer mehr Menschen in diesem Lande noch das dumme Bewusstsein, von Rot-Grün an der Nase herumgeführt worden zu sein: Wenn wir die Arbeitslosigkeit nicht deutlich senken, verdienen wir nicht, wieder gewählt zu werden, verkündete Bundeskanzler Gerhard Schröder zu seinem Amtsantritt. Der Mann wusste offenbar, wozu er gewählt worden war.
Heute, mehr als sechs Jahre später, weist die offizielle Arbeitslosenstatistik statt deutlich weniger eine Million mehr Menschen ohne Job aus als zu Schröders Amtsantritt. Besserung ist weit und breit nicht in Sicht.
Ältere Arbeitslose mag ja noch das soziale Netz trösten, das sie vor dem totalen Absturz bewahrt. Jungen Menschen vermag das allerdings keinen Trost zu vermitteln, sie sehen einem traurigen Leben ins Gesicht, fahnden nach einem Ausweg aus der Perspektivlosigkeit, suchen Sinn und Selbstsicherheit. Immer mehr von ihnen glauben offenbar, ihr Heil bei den Neonazis finden zu können.
An dieser Stelle kommt auch die Schuld der Opposition (und von Herrn Stoiber) ins Bild. Weniger, weil sie, als sie selbst Regierung war, die Arbeitslosigkeit ebenfalls nicht energisch genug bekämpfte, sondern mehr, weil sie sich kleinmütig dem Gesinnungsterror der 68er gebeugt und das rechte politische Spektrum inzwischen so gut wie vollständig geräumt hat.
So kann Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) angesichts des Streits um die Stoiber-Äußerungen jetzt ganz selbstverständlich mehr Gemeinsamkeit unter den Demokraten anmahnen und ein breites Bündnis gegen Rechts fordern. So als sei rechts gleichzusetzen mit Neonazi, so als gebe es rechts keine Demokraten (mehr), so als wären alle Demokraten im Grunde Sozialdemokraten (mit oder ohne Parteibuch).
Und in der Tat: Wer wagt denn in diesem Land noch, sich als Rechter zu bezeichnen? Wer wagt es noch, traditionell rechte Werte wie Leistung, Selbstverantwortung, Glaube, Familie, Vaterland et cetera offensiv zu vertreten?
Kein Wunder, wenn immer mehr verstörte, enttäuschte, leichtgläubige, entwurzelte, ihres Stolzes und Selbstbewusstseins beraubte Menschen, zumal da sie das Schuld-Trauma des Holocaust offenbar weniger plagt als ihre Eltern, wenn überhaupt noch, in den Neonazis die einzige Opposition im Lande sehen.
Natürlich haben die neuen Nationalsozialisten diesen Menschen keine Lösung für ihre Probleme zu bieten. Ganz im Gegenteil! Aber bis die das merken, kann viel neues Unheil und Verderben geschehen. Immer wenn es besonders heftig wird in diesem Lande lugt dahinter die Frage hervor, die seit dem Holocaust unser Dasein bestimmt: Schafft es dieses Volk, mit seiner gigantischen historischen Schuld verantwortungsvoll umzugehen und zugleich die Selbstsicherheit (wieder) zu gewinnen, die es braucht, um ein großes Volk zu sein?
Der Niedergang Deutschlands, für den die Massenarbeitslosigkeit nur der schmerzlichste Ausdruck ist, und der neuerliche Zulauf für Neonazis belegen, dass diese Frage nach wie vor offen ist.
Wehe uns, wenn wir nicht bald eine positive Antwort finden!
Von Chefredakteur Stefan Baron
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