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"Historische Detektivgeschichte": Interview mit Arthur Jones, Regisseur der Doku "Titanic - Das letzte Geheimnis" (ab 19. Dezember bei HISTORY Play)

"Historische Detektivgeschichte": Interview mit Arthur Jones, Regisseur der Doku "Titanic - Das letzte Geheimnis" (ab 19. Dezember bei HISTORY Play)
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München (ots)

"So sehr mich als Filmemacher die Vergangenheit interessiert, sind mir die Auswirkungen auf die heutige Zeit noch wichtiger"

Im Gespräch mit Regisseur Arthur Jones über seine Dokumentation "Titanic - Das letzte Geheimnis" (ab 19. Dezember 2023 auf Abruf bei HISTORY Play), eine vorher weitgehend unbekannte historische Detektivgeschichte und den alltäglichen Rassismus - nicht nur an Bord des angeblich unsinkbaren Passagierdampfers

An Bord der Titanic befanden sich acht chinesische männliche Passagiere in der dritten Klasse, allesamt Berufsseeleute, die nach New York unterwegs waren, um auf einem Obstdampfer zu arbeiten. Sechs der Männer überlebten den Untergang. Vier entkamen auf demselben Rettungsboot wie Joseph Bruce Ismay, der Direktor der White Star Line (die Reederei, die die Titanic betrieb), während ein weiterer von ihnen der letzte Mensch war, der aus dem Wasser gerettet wurde. Bei ihrer Ankunft in New York wurden die sechs chinesischen Männer festgehalten und innerhalb von 24 Stunden abgeschoben. Verschiedene Medien berichteten damals darüber, dass sich die Chinesen unehrenhaft verhalten hätten, da nur 16 Prozent der anderen Männer der dritten Klasse überlebten.

Es war wenig darüber bekannt, was mit den chinesischen Überlebenden nach 1912 geschah, und Recherchen von Filmemacher Arthur Jones und Meereshistoriker Steven Schwankert, die seit der gemeinsamen journalistischen Zeit beim Branchenblatt "Variety" Freunde sind, deuten darauf hin, dass einige nicht einmal ihren eigenen Familien erzählten, dass sie auf dem Schiff gewesen waren. Die chinesische Migration in Länder wie die Vereinigten Staaten und Kanada vom späten 19. bis mittleren 20. Jahrhundert wurde durch antichinesische Einwanderungsgesetze definiert, was möglicherweise erklärt, warum die Geschichten der Überlebenden vergessen wurden. Laut Luo Tong, Producerin der Dokumentation, "wurden sie nicht nur in den Tagen nach der Titanic-Katastrophe misshandelt, sie lebten ihr ganzes Leben lang im Schatten der Diskriminierung; jetzt sind sogar ihre Familien davon betroffen." Den Überlebenden wie ihren Nachfahren setzt "Titanic - Das letzte Geheimnis" (Originaltitel: "The Six") ein Denkmal.

Herr Jones, Sie leben derzeit in Shanghai, aber ich erreiche Sie gerade in Guangzhou. Woher rührt Ihr Interesse an China?

Das hat vor allem mit dem chinesischen Kino der 1960er- und 1970er-Jahre zu tun, das ich liebe. Dazu habe ich kürzlich eine schöne Geschichte erlebt. Ich ging in eine Bar in Shanghai, um zwei Freunde - Rachel ist Chinesin und ihr Mann taiwanesisch-australischer Abstammung - zu treffen. Am Tisch neben uns saß eine schon etwas ältere, aber immer noch attraktive Dame. Wir kamen ins Gespräch, und sie stellte sich als "Sylvia" vor. Ich fragte sie, was sie beruflich mache. Sie: "Ich bin schon eine ganze Weile als Schauspielerin tätig." "Wo haben Sie denn mitgespielt?", wollte ich wissen. "Beispielsweise in "M*A*S*H'", antwortete sie. "Im Film oder in der Serie?", hakte ich nach. "In der Serie", entgegnete sie lächelnd. "Wow, ich liebe die Serie!", entfuhr es mir. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Vor mir saß Sylvia Chang, einer der größten Stars des chinesischen Films. Sie hatte in den letzten 40 Jahren auch in zahlreichen Hollywood-Produktionen wie 1998 in "Die rote Violine" mit Samuel L. Jackson mittgespielt. "Es tut mir so leid, dass ich Sie nicht sofort erkannt habe", entschuldigte ich mich. "Keine Ursache", winkte sie lächelnd ab. Wir machten dann sofort ein Foto zusammen (zeigt es auf dem Handy). Aber nach China bin ich einst gezogen, weil ich viele Dokumentationen über dieses riesige Land gesehen habe. Und nun habe ich mit "Titanic - Das letzte Geheimnis" selbst eine Doku gedreht, die im Original "The Six" heißt und damit die sechs von acht Chinesen an Bord der Titanic meint, die dieses Unglück überlebten.

Wie kamen Sie darauf, sich dieses bisher weitgehend unbekannten "Titanic"-Details filmisch anzunehmen?

Die Idee, eine Doku über die chinesischen Passagiere der Titanic zu drehen, wurde mir ursprünglich von Steven Schwankert vorgeschlagen, der nach seiner Filmreporter-Tätigkeit als Meereshistoriker tätig ist. Bereits 2013 arbeitete ich mit ihm an der Dokumentation "The Poseidon Project" zusammen. Zuerst war ich skeptisch, ein so gut dokumentiertes Thema wie die Titanic zu behandeln, aber die Frage, warum im Vergleich zu den anderen Überlebenden so wenig über die sechs Chinesen bekannt war, ging mir nicht aus dem Kopf. Warum wurden sie ignoriert? Der Historiker Renqiu Yu, der an der Produktion der Doku beteiligt war, stellte fest, dass die allgegenwärtige angelsächsische Perspektive der Titanic wenig Raum für Überlebende wie die Chinesen gelassen hat. Zu Beginn der Produktion fanden wir Tom Fong, der behauptete, der Sohn des Überlebenden Fang Lang (später: Wing Sun Fong) zu sein. Er erfuhr erst nach dem Tod von Wing Sun Fong im Jahr 1985, dass sein Vater auf der Titanic gewesen war, und konnte die Geschichte mit unserer Hilfe überprüfen. Es gelang uns, weitere Überlebende der Titanic zu recherchieren, darunter Lee Bing, der sich in Ontario, Kanada, niederließ und Chang Chip, der bereits 1914 in London starb. Alle acht stammten nachweislich aus Taishan in der chinesischen Provinz Guangdong. Und somit nahm die Doku konkrete Züge an.

Die Titanic hat viele Regisseure zu Filmen inspiriert, so etwa 1943 Herbert Selpin und Werner Klingler zum Streifen mit Sybille Schmitz, aber auch 1958 Roy Ward Baker zu "Die letzte Nacht der Titanic". Durch die Verwendung von Szenen aus James Camerons Hollywood-Blockbuster "Titanic" aus dem Jahr 1997, die zeigen, wie sich ein Chinese an einer Holzplanke festklammert, um nicht zu ertrinken, hat Ihre Dokumentation fast spielfilmartige Züge.

Interessant, dass Sie auch die ersten beiden Filme nennen, denn in einer früheren Eröffnungssequenz unserer Doku gab es eine Montage aus all den bisherigen "Titanic"-Spielfilmen. Leider konnten wir sie aus rechtlichen Gründen nicht verwenden.

Wie haben Sie denn die Rechte zur Verwendung von Camerons "Titanic" bekommen?

Durch ihn selbst, der uns in der Doku auch Rede und Antwort steht. Er war so angetan von der Geschichte der Chinesen auf der Titanic, dass er sogar anbot, als Ausführender Produzent zu fungieren, um uns zu unterstützen. Er ist ja einer der größten "Titanic"-Experten und unzählige Male selbst zum Schiffswrack hinabgetaucht.

Wo haben Sie ihn interviewt?

Das war in Neuseeland, wo er sich in den letzten Zügen der Dreharbeiten zu "Avatar: Way of the Water" befand. Es war zuerst nicht einfach, ihn zu erreichen, aber als wir es schließlich geschafft hatten, nahm er sich für unsere Dokumentation viel Zeit. Die Aufnahmen mit ihm waren auch fast die letzten, die wir für die Doku drehten.

In angloamerikanischen Zeitungsartikeln des Jahres 1912 wurde den sechs Chinesen regelrecht vorgeworfen, dass sie die Katastrophe überlebt hatten, hieß doch der Verhaltenskodex seit dem Sinken der Poland 1840 und dem sogenannten "Birkenhead Drill" 1852 "Frauen und Kinder zuerst!".

Viele assoziieren diesen Verhaltenskodex, bei dem Frauen und Kinder in gefährlichen Situationen zuerst gerettet werden sollen, zuerst mit der Titanic, aber er fand, wie Sie sagen, schon früher Verwendung. Er scheint eine universelle Wahrheit zu sein. Die Parole 'Frauen und Kinder zuerst' wird aber vor allem im angloamerikanischen Raum angewandt. Die Chinesen auf der Titanic kannten ihn vermutlich nicht. Der Zweite Offizier Lightoller schlug Kapitän Smith damals vor: "Sollten wir nicht die Frauen und Kinder in die Boote bringen, Sir?", worauf dieser entgegnete: "Frauen und Kinder in die Boote und diese ablassen!" Die Offiziere interpretierten allerdings den Befehl unterschiedlich: Der zweite Offizier, der während der Evakuierung die Aufsicht über die Backbordseite hatte, ließ nur Frauen und Kinder einsteigen, was dazu führte, dass auch völlig unterbesetzte Boote zu Wasser gelassen wurden. Der erste Offizier Murdoch auf der Steuerbordseite beorderte hingegen auch Männer und Besatzungsmitglieder in ein Boot, wenn keine Frauen oder Kinder in der Nähe waren. Deswegen wurden 74 Prozent der Frauen und 52 Prozent der Kinder gerettet, aber nur 20 Prozent der Männer. Daraus im Nachhinein den geretteten sechs Chinesen einen Strick drehen zu wollen, ist auch heute noch ungerecht. Es stört mich etwas, dass bis ins Jahr 2023 bei der Aufarbeitung des Titanic-Unglücks eine Geschichte erzählt wird, die in Helden und Schurken aufteilt. So simpel war es nicht.

Es ist Ihnen also ein Anliegen, den damals überlebenden, nun schon lange toten Chinesen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen?

Ja. Die globale Presse interessierte sich über Jahrzehnte stets für die Titanic-Story und zeichnete jedes noch so kleine Detail nach, bis hin zur Größe der Aschenbecher in der zweiten Klasse. Aber über die Chinesen wurde nichts berichtet. Warum wurden die Schicksale der anderen Überlebenden so gut dokumentiert, die Chinesen aber vergessen? Je mehr wir recherchierten, desto mehr vermuteten wir, dass es etwas mit den 1912 in britischen und amerikanischen Medien veröffentlichten Gerüchten zu tun hatte, die besagten, dass die sechs Männer unehrenhaft gehandelt hätten, um sich zu retten. Es waren schreckliche Anschuldigungen, die etwas über die Diskriminierung aussagen, dem eine ganze Generation von Chinesen ausgesetzt war. Ich hoffe, dass dieser Film eine angemessene Hommage an sie ist, deren Leid ein Leben lang andauerte.

Der Rassismus, dem Chinesen vor allem im angloamerikanischen Raum zu Anfang des 20. Jahrhunderts ausgesetzt waren, wo sie vorrangig als billige Arbeitskräfte ausgebeutet wurden, wird in Ihrer Doku anhand von Karikaturen aus damaligen Zeitungen dokumentiert.

Auch wenn sich zum Glück vieles geändert hat, gibt es gewisse Ressentiments gegen Chinesen, vor allem in den USA, immer noch. Und das thematisieren wir auch in der Doku. Denn so sehr mich als Filmemacher die Vergangenheit interessiert, sind mir die Auswirkungen auf die heutige Zeit noch wichtiger. Deswegen bemühten wir uns so intensiv um Gespräche mit den Nachfahren der sechs Überlebenden.

Mussten, zugespitzt gesagt, die Chinesen an Bord des Ozeanriesen den täglichen Rassismus der westlichen Welt ihnen gegenüber mit voller Breitseite ertragen?

Ja, die britischen Reedereien jener imperialistischen Zeit duldeten sie als Passagiere zwar quasi versteckt im Maschinenraum, aber niemals an Deck. Das Essen durften sie deswegen nicht im Speisesaal einnehmen, wohl aber einen überhöhten Preis für die Überfahrt zahlen. Es wurden auf der Titanic aber nicht nur Chinesen diskriminiert, auch Araber und sogar Italiener. Und auch heute, nach 111 Jahren, müssen wir leider immer noch über den alltäglichen Rassismus sprechen.

Wie waren die Reaktionen auf "Titanic - Das letzte Geheimnis"?

Sie waren außergewöhnlich gut! Wir zeigten sie auch in chinesischen Kinos und hatten über 70.000 Besucher, was für eine Doku viel ist. Dazu muss ich sagen, dass die Leute in China bis heute nach James Camerons "Titanic" geradezu verrückt sind. Sie lieben die Musik und die Romantik zwischen Leonardo DiCaprio und Kate Winslet darin. Und sie mochten das bei ihnen noch unbekannte Genre der historischen Detektivgeschichte.

Welche Geschichte, die Sie in "Titanic - Das letzte Geheimnis" erzählen, hat Sie am meisten berührt?

Das ist schwer zu beantworten, aber eine fällt mir ein, die heute noch aktuell ist. Es ist die von Tom Fong, der bei der Aufarbeitung der Lebensgeschichte seines Vaters Fong Wing Sun (damals als Fang Lang eingeschifft) realisieren muss, dass dieser seine Erinnerungen an die dramatischen Geschehnisse auf der Titanic und in der Zeit danach nicht mit ihm geteilt, sondern sie vielmehr mit ins Grab genommen hatte. Befürchtete er etwa auch nach seiner Rettung noch Schwierigkeiten? Und wie geht der Sohn, dessen Vater 65 war, als er geboren wurde, im neuen Jahrtausend damit um? Seine Mutter, die 40 Jahre jünger als ihr Ehemann war, ist jetzt in ihren 80ern. Das ist auch ein ungewöhnlicher Seitenaspekt. Sie hat ihn mit 21 geheiratet, als er schon 63 war. Zum Glück lebt sie noch im Gegensatz zu einigen anderen unserer Gesprächspartner, die in den letzten drei Jahren verstorben sind. Die persönlichen Lebensgeschichten der Familienmitglieder der Überlebenden sind mir sehr wichtig, denn die Auswirkungen des Schicksals der Sechs auf ihre Nachfahren sind immens.

Interview: Marc Hairapetian; Veröffentlichung honorarfrei.

"Titanic - Das letzte Geheimnis" ab Dienstag, 19. Dezember 2023, auf Abruf bei HISTORY Play, dem On-Demand-Channel bei den YouTube Primetime Channels, den Amazon Prime Video Channels, den Apple TV Kanälen und bei ScreenHits TV

Weitere Informationen zu HISTORY Play sind unter http://presse.aenetworks.de, www.history.de, www.facebook.com/HISTORYdeutschland, www.instagram.com/history_de sowie www.youtube.com/historyde zu finden.

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