Lebensmittelkontrolleure fordern radikale Reformen
Martin Müller: "Zustände wie im vorigen Jahrhundert"
Frankfurt/Main (ots)
Deutschlands oberster Lebensmittelkontrolleur Martin Müller geht nach der jüngsten Skandalflut mit der Politik hart ins Gericht. Angekündigte Reaktionen wie Herkunftsangaben für weiterverarbeitete Lebensmittel oder die Veröffentlichung der Namen betroffener Betriebe, sobald ein hinreichender Verdacht besteht, sind nach Auffassung des Vorsitzenden des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure mehrheitlich nur geeignet, um eine schöne Außenwirkung zu erzielen. Im Gespräch mit der Lebensmittel Zeitung (Deutscher Fachverlag) sagte Müller: "Die Länder und Kommunen, die für die Lebensmittelkontrolle verantwortlich sind, haben leider kein Interesse an tiefgreifenden Veränderungen und schützen lieber die heimische Wirtschaft. Nach wie vor liegen viele Daten nur handschriftlich vor, einen bundesweiten Austausch gibt es nicht. Das sind Zustände wie im vorigen Jahrhundert."
Stattdessen fordert Müller, der nach 37 Jahren im Geschäft noch nie eine solche Häufung von Verfehlungen erlebt hat, ein wirksames Frühwarnsystem aufzubauen. "Was nutzt es dem Verbraucher, wenn wir in zwei Wochen herausfinden, dass die Erdbeeren, die er vor vier Wochen gegessen hat, mit Keimen belastet waren? Wir können uns nicht neben jedes Schnitzel stellen. Um zu wissen, wo und wonach man suchen muss, muss man die Gefahren kennen." Dafür bräuchte Müller allerdings mehr Personal. Derzeit fehlen in Deutschland jedoch rund 1.600 Lebensmittelkontrolleure.
Entsprechend geht Müllers Forderungskatalog weiter: Auf EU-Ebene plädiert Müller für die Einrichtung einer zentralen Behörde mit vergleichbaren Befugnissen, über die die europäische Polizeiorganisation Europol verfügt. Auf Landesebene plädiert Müller für die Schaffung eines Bundesamts für Lebensmittelkontrolle und damit einen effektiven Austausch der Beamten. "Der Prüfer in Hamburg muss endlich wissen, dass der Kollege in München Aurora Sonnenmehl in diesem Monat schon hundert Mal getestet hat, um sich anderen Aufgaben zu widmen." Auf Seiten der Justiz fordert Müller die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Fachgerichten. "Nur wenn wir dazu kommen, bei Verfehlungen den unlauteren Gewinn der Unternehmen abzuschöpfen, wird sich etwas ändern." Damit, so Müller in der Lebensmittel Zeitung, ließen sich die Kosten für mehr und aufwendigere Kontrollen zudem bereits zu einem großen Teil auffangen. "Gute Unternehmen - und dazu zähle ich 95 Prozent der deutschen Betriebe - würde dies kaum mehr belasten. Die erste Kontrolle ist ohnehin kostenlos. Damit würde man die guten Unternehmen endlich wirksam schützen."
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