Das Medikament in der Haftung - Ein Produkt wie jedes andere?
Hamburg (ots)
Meldungen aus den USA über Sammelklagen und Zahlungen horrender Schadensersatzleistungen durch beklagte Unternehmen beschäftigen die deutsche Öffentlichkeit immer wieder. Wenn es sich um Schadensmeldungen im Zusammenhang mit Medikamenten handelt, schlagen die Wellen besonders hoch - in solchen Fällen geht es um eins besonders wertvolles Gut, die menschliche Gesundheit.
Mit Aspekten der Arzneimittelsicherheit und rechtlichen Fragen der Produkthaftung in den USA und in Deutschland beschäftigten sich jüngst juristische und medizinische Experten in Hamburg.
Medikamente: Der Einzelfall zählt
Der Arm amerikanischer Gerichte reicht sehr weit: Auf der Basis so genannter "minimum contacts" begründen sie ihre internationale Zuständigkeit bereits bei "anhaltenden und systematischen" Geschäftsaktivitäten eines ausländischen Unternehmens auf amerikanischem Boden. Prinzipiell bedeutet das, dass auch deutsche Unternehmen, die ihre Produkte in den USA vermarkten, dort in vollem Umfang für die Sicherheit ihrer Erzeugnisse haftbar gemacht werden können. Das Gespenst der Sammelklage verliert aber angesichts der Tatsache, dass viele dieser Klagen abgewiesen werden ein wenig von seinem Schrecken. Rechtsanwältin Ina Brock von der international tätigen Kanzlei Lovells: "Das amerikanische Rechtssystem ist klägerfreundlicher als das deutsche. Allerdings ist die Sammelklage für die beklagten Unternehmen nicht die Katastrophe, als die sie oft erscheint. Für die Produkthaftung bei Medikamenten sind Sammelklagen überdies oft gar nicht geeignet." Dies liegt in erster Linie daran, dass die Wirkung medizinischer Produkte nicht unabhängig vom Verhalten und der Konstitution des Patienten betrachtet werden kann. Eine individuelle Einzelfallbetrachtung bei auftretenden Nebenwirkungen ist unumgänglich.
Im deutschen Recht gibt es das Mittel der Sammelklage nicht. Jeder Schadensfall, auch bei Schädigungen im Zusammenhang mit Arzneimittelgebrauch, wird einzeln betrachtet und verhandelt. Allerdings gibt es Klägeranwälte, die sich darauf spezialisiert haben, bei Massenschäden mehrere Klageparteien gemeinschaftlich in einzelnen Prozessen zu vertreten. Wichtiges Mittel zur Beweisführung ist das Sachverständigengutachten. Die Produkthaftung pharmazeutischer Unternehmen regelt in Deutschland das Arzneimittelgesetz. Es sieht eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung zu Gunsten der Verbraucher vor. "Die Voraussetzung für Schadensersatzleistungen sind klar geregelt: Die schädliche Wirkung muss bei bestimmungsgemäßem Gebrauch auftreten oder die Fach- beziehungsweise Gebrauchsinformation durch den Hersteller muss fehlerhaft sein," erklärt Dr. Uwe Fröhlich von der Kanzlei Lovells. Nach neuesten Gesetzesnovellierungen sehen die Haftungsbestimmungen außerdem einen Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes vor.
Absolute Sicherheit kann es nicht geben
Die rechtlichen Aspekte sind aber nur eine Seite der Medaille. Grundsätzlich stellt sich die Frage, inwieweit ein Medikament überhaupt "Sicherheit" versprechen kann. Gesetzliche Rahmenbedingung für die Vermarktung von Arzneimitteln bildet das Zulassungsverfahren auf Basis des Arzneimittelgesetzes. In vorklinischen und klinischen Studien muss der Hersteller nicht nur den Wirkungsnachweis erbringen, sondern auch die Unbedenklichkeit des Medikamentes glaubhaft machen. Wie die Arzneimittelexperten Prof. Dr. med. Klaus Heilmann, München und Prof. Dr. Henning Blume, Oberursel darlegten, ist die Forderung nach "Unbedenklichkeit" nicht mit "absoluter Sicherheit" gleichzusetzen. Heilmann plädiert daher für eine Relativierung der Begriffe "Arzneimittelsicherheit" und "Arzneimittelrisiko": "Die Verwendung von elektrischem Strom im Haus gilt als sicher, ohne dass damit die Annahme verbunden ist, sie sei völlig gefahrlos. Ähnlich verhält es sich mit Medikamenten, auch hier liegt die Ambivalenz zwischen erwünschten und unerwünschten Eigenschaften grundsätzlich in ein und demselben Stoff." Überdies zeigen sich viele Arzneimittelwirkungen - und dazu gehören auch die unerwünschten Nebenwirkungen - erst, nachdem ein Medikament seit Jahren auf dem Markt ist und daher von Tausenden, wenn nicht Millionen Patienten angewendet wurde. Nicht nur die individuelle Konstitution des einzelnen Patienten spielt hierbei eine Rolle, auch Verschreibungs- und Anwendungsfehler können unerwünschte Wirkungen nach sich ziehen. So kam es zum Beispiel beim Medikament Baycol/Lipobay nur dann zu unerwünschten Nebenwirkungen, wenn das Medikament überdosiert oder entgegen der Empfehlungen zusammen mit dem Wirkstoff Gemfibrozil eingenommen wurde. Der Hersteller Bayer wurde folglich in den bisherigen Prozessen in den USA von jeglicher Haftung freigesprochen.
Nicht alle Eventualitäten können im Rahmen des Zulassungsverfahrens getestet werden. "Die Zulassung eines Arzneimittels beruht letztlich auf Prüfung eines Modells. Größere Testgruppen von vielleicht hunderttausend Patienten und mehr würde die Zulassung neuer Arzneimittel verschleppen und auf der anderen Seite möglicherweise größere Schäden durch unterbliebene Behandlung verursachen," stellt Blume in diesem Zusammenhang klar. Es bleibt das Fazit, dass Risiken auch bei Arzneimitteln nie ganz auszuschließen sind. Wichtig für größtmögliche Sicherheit sind ausreichende Kontrolle und Kommunikation, um sachgerechten Einsatz und verantwortungsvollen Gebrauch von Arzneimitteln zu gewährleisten.
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