NOZ: Historiker-Vorsitzende über Klimawandel: Jede Zeit hat ihre Schreckensvisionen
Osnabrück (ots)
Wissenschaftlerin plädiert für Zuversicht und hält Öko-Extremismus für möglich
Osnabrück. Die Vorsitzende des Deutschen Historikerverbandes, Eva Schlotheuber, hat angesichts des Klimawandels zu Besonnenheit und Zuversicht aufgerufen. In einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte sie, "Gesellschaften hatten schon immer ihre Schreckensvisionen, in jeder Zeit." Das kulturelle Gedächtnis habe viele reale und fiktive Schrecken bewahrt: Der Weltuntergang und das Jüngste Gericht im Christentum, die Pest des 14. Jahrhunderts, Weltkriege, Flucht und Vertreibung. "All diese Erfahrungen, Erzählungen und Vorstellungen gehören in jeder Generation zum Leben dazu."
"Die aktuellen Herausforderungen fühlen sich für jede Zeit groß und unbewältigbar an", sagte die Mittelalter-Professorin der Universität Düsseldorf. Hier könne Geschichte Mut machen. Sie ordne Ängste der Gegenwart ein, gegenwärtig die vor dem Klimawandel. "Am Ende ist der Weltuntergang bis jetzt ausgeblieben, die Menschen konnten sich retten durch Anpassung, Technik, neue Regeln des Zusammenlebens." Geschichtliche Bildung verschaffe dem Menschen "Gelassenheit und die Gewissheit, dass der Mensch letztlich die Folgen seines Handelns nicht in dem Maße bestimmen kann, wie er oftmals meint". Es brauche den Mut, Veränderungen zu akzeptieren - "sowohl von Küstenlinien als auch im Zusammenleben".
Gleichzeitig sei es offenkundig, "dass zu unserer Vorstellung einer zukünftigen Gesellschaft eine neue Form von Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit gehören sollte", sagte Schlotheuber. Es sei auch im besten Sinne demokratisch, wenn sich Umweltschützer mit radikalen Forderungen und Formulierungen Gehör verschafften: "Wie sollen sie sonst auf ein Umdenken hinwirken?" Demokratie lebe davon, dass Gruppen ihre Meinung klar äußerten und die Gesellschaft mit ihnen in den Dialog trete.
Die Historikerin und Kirchenspezialistin warnte allerdings parallel vor Klima-Extremismus bis hin zu Terror. "Das Aufkommen großer religiöser oder weltanschaulicher Bewegungen ist in der Geschichte ein wohlbekannter Prozess. Wenn zentrale neue Anliegen nicht hinreichend in den Diskurs der Gesellschaft integriert werden können, kommt es zur Radikalisierung. Insofern liegt in jeder großen neuen Bewegung das Potenzial für Extremismus", führte die Professorin aus. Wie es jeweils konkret verlaufe, hänge von der Veränderungsbereitschaft der Gesellschaft ab. Aber: "Es wird immer Splittergruppen geben, denen der Wandel nicht schnell oder nicht weit genug geht."
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Historiker-Vorsitzende: Radikale AfD-Ausgrenzung hilft nicht weiter
Wissenschaftlerin findet "Nazi"-Slogans irreführend und warnt auch allgemein vor leichtfertigen historischen Vergleichen
Osnabrück. Die Vorsitzende des Deutschen Historikerverbandes, Eva Schlotheuber, rät davon ab, Rechtspopulisten etwa der AfD als "Nazi" zu bezeichnen. In einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte sie, der Begriff suggeriere, "dass die Rechte seit der Zeit des Nationalsozialismus gleich geblieben ist und sich nicht weiterentwickelt hat". Er verdecke eher aktuelle Strategien, Ziele und Netzwerke der neuen Rechten, als dass er sie entlarve, kritisierte die Düsseldorfer Historikerin. "Nicht zuletzt wird die Zeit des Nationalsozialismus verharmlost, wenn ,Nazi' zunehmend als politischer Kampfbegriff herhalten muss", mahnte die Professorin.
Dessen ungeachtet sei es wichtig, beispielsweise rassistische Bemerkungen als solche offen zu benennen und zu kritisieren. Auch habe sich in den vergangenen 70 Jahren "gezeigt, dass eine klare Abgrenzung besser vor einem Rechtsdrift schützt als der Versuch der politischen Einbindung". Insofern könne sie nachvollziehen, wenn unter Verweis auf den Aufstieg der NSDAP in den 1930er-Jahren ein harter Kurs gegen die AfD und eine Ausgrenzung in den Parlamenten gefordert werde. Trotzdem helfe das letztlich nicht weiter. "Man muss akzeptieren, dass die AfD im Bundestag und außerhalb inzwischen eine relevante politische Kraft ist. Die Frage muss lauten: Warum? Was verschafft ihr diesen Zuspruch?" Nötig sei eine "ehrliche und tiefergehende Analyse der aktuellen Situation, die nicht die (Ideal-)Vorstellung von unserer Gesellschaft, sondern die Wirklichkeit in den Blick nimmt", meinte Schlotheuber. Beides stimme derzeit nicht überein. Statt sich um eigene aktuelle Probleme wie das Veröden von Kleinstädten oder den Umgang mit alten Menschen zu kümmern, würden "Putin oder Trump zur Negativfolie" aufgebaut. "Diesen Widerspruch spüren die Menschen", meinte Schlotheuber.
Auch grundsätzlich hält die Verbandsvorsitzende direkte historische Vergleiche für schwierig und warnte vor Leichtfertigkeit. "Die Zeitumstände sind immer einmalig und wiederholen sich nicht", gab sie zu bedenken. Daher würden notwendigerweise Äpfel mit Birnen verglichen. Der Blick in die Geschichte könne gleichwohl nützlich sein, "wenn er Ebenen aufdeckt, die wir bisher nicht wahrgenommen haben. Mit der neuen Perspektive merken wir dann: Oh, da ist ja etwas dran, so habe ich es noch nicht gesehen." Positionen der Gegenwart ließen sich auf diese Weise demaskieren.
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