Westfalenpost: Schwarzer Freitag
Hagen (ots)
Irisches Nein stürzt EU in tiefe Krise Von Knut Pries Mit dem Scheitern des irischen Referendums über den Lissabon-Vertrag steckt die Europäische Union in einer noch größeren Krise als 2005 nach dem Scheitern der Verfassung in Frankreich und Holland. Es ist sowohl eine Vermittlungs- wie eine Gestaltungskrise. Die Regierungen sind nicht mehr in der Lage, ihren Bürgern zu vermitteln, was sie - zu Recht - für einen Fortschritt halten. Und ihnen fällt nicht mehr ein, wie sie die EU veränderten politischen Erfordernissen anpassen können. Sie sind an diesem Freitag in Europa mit ihrem Latein am Ende. Natürlich handelt es sich auch um ein irisches Problem. Die Insel ist der einzige EU-Staat, der EU-Verträge den Bürgern vorlegen muss. Von denen dann weniger als die Hälfte von ihrem Stimmrecht Gebrauch macht, während ein gut Teil der anderen nicht wirklich weiß, worum es geht, oder sich darum nicht schert, sondern die Gelegenheit nutzt, dies oder jenes Hühnchen mit der Regierung zu rupfen. Was beim Hühnchen-Rupfen heraus kommt, bestimmt wesentlich, wie durchschlagskräftig der politische Verbund einer halben Milliarde Menschen ist. Wirksamer kann man der Demokratie keinen Rufschaden verpassen. Eingeschränkte Demokratietüchtigkeit und Führungsversagen der politischen Klasse sind aber nicht auf Dublin beschränkt. Paris und Den Haag haben sich 2005 nicht geschickter angestellt, und die Vermutung ist nur zu berechtigt, dass auch in anderen Ländern bei einer Volksabstimmung über einen neuen Grundvertrag die Kritiker siegen würden. Dass es sich um einen grundsätzlichen Mangel handelt, ergibt sich aus der Vorgeschichte: Erst kam der Nizza-Vertrag, der war schon bei der Verabschiedung nachbesserungsbedürftig. Dann kam die Verfassung, die fiel in Frankreich und den Niederlanden durch. Jetzt haben wir den irischen Schlamassel. Sie haben es mit der traditionellen Schmalspur (Regierungskonferenz) versucht wie mit dem modernen Breitband (Konvent). Einmal war die Goldkante im Angebot (Verfassung), dann eine Sparversion (Lissabonner Mini-Vertrag) - nichts hat funktioniert. Schadensbegrenzung durch den Abschluss der Ratifizierung in den 26 anderen EU-Staaten reicht nicht. Nötig ist zudem eine Generalrevision der Verfahren. Die institutionelle Fortentwicklung der EU muss davon unabhängig gemacht werden, wie hoch gerade der Verdrossenheitspegel in einem Mitgliedsstaat ist. Jenseits von Geschäftsordnungsfragen müssen hingegen die Bürger stärker an der politischen Ausrichtung ihrer Union beteiligt werden. Ob beides noch im Großverbund aus 27 Ländern möglich ist oder nur mehr in einer "Kerneuropa"-Koalition der Willigen, ist seit diesem schwarzen Freitag mehr denn je eine offene Frage.
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