Westfalenpost: Notbremse gezogen Das Beben in der US-Finanzbranche
Hagen (ots)
Von Stefan Pohl
Ob der Ausdruck Schwarzer Montag für das Beben am US-Finanzmarkt gerechtfertigt ist, muss die Zukunft zeigen - auf jeden Fall war gestern einer der dramatischsten Tage in der gewiss nicht ereignisarmen Geschichte des Welt-Finanzzentrums Wall Street. Und was, wie die Pleite des Investmentbank-Riesen Lehman Brothers, die Wall Street erschüttert, das macht sich natürlich auch in Europa und Asien bemerkbar. Umso mehr seit dem stetigen Zusammenwachsen der Weltwirtschaft und der Welt-Finanzströme. Der kurzzeitige Fall des Deutschen Aktien-Index auf unter 6000 Punkte hat es bewiesen. Die auf eine sich selbst erfüllende Prophezeiung angelegte demonstrative Zuversicht einiger Top-Banker, die Finanzkrise sei im Grunde erledigt, wurde damit jedenfalls aufs Eindrücklichste widerlegt. 85 000 gefährdete Jobs sprechen eine klare Sprache. Um es gleich vorwegzunehmen: Die erste Frage der deutschen Sparer - sind meine Einlagen in Gefahr? - kann aus heutiger Sicht mit einem klaren Nein beantwortet werden. Dazu ist das System der Einlagensicherung im deutschen Finanzwesen zu solide. Da Wirtschaft zu einem großen Teil Psychologie ist, werden Politik und Wirtschaft in der nächsten Zeit aber auch in Deutschland nicht müde werden, die durchaus vorhandenen Gefahren herunterzuspielen - das Schlimmste wäre eine sich verstärkende Kettenreaktion verunsicherter Bankkunden. Was kommt als nächstes, fragen sich jetzt viele. In gewisser Weise war es das Pech von Lehman Brothers, durch die Spekulation mit schlecht besicherten Hypothekenpapieren zum falschen Zeitpunkt vor der Pleite zu stehen. Noch im März hatte die US-Notenbank dem Käufer des Lehman-Konkurrenten Bear Stearns einen Milliarden-Kredit eingeräumt, hatte die Regierung bei der Verstaatlichung der beiden Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac Garantien übernommen, um einem befürchteten Kollaps des Finanzsystems vorzubeugen. Die Bundesregierung handelte bei der Mittelstandsbank IKB nicht anders. Doch offenbar hat Washington jetzt die Notbremse gezogen. Selbst US-Wählern - im November sind Wahlen - ist nur noch schwer zu vermitteln, dass die Regierung Finanzinstitute herauspaukt, deren Manager sich auf der Jagd nach noch mehr Reichtum verspekuliert haben. Außerdem könnte eine weitere Hilfe Führungskräfte zu einem noch sorgloseren Verhalten animieren - nach dem Motto: Der Staat lässt uns aus Sorge um die Konjunktur schon nicht hängen. Irgendwann musste Washington eine große Bank scheitern lassen - aus ordnungspolitischen Gründen. Denn auch die US-Autoindustrie ist notleidend und ruft nach staatlicher Hilfe. Es ist nur zu hoffen, dass der Fall Lehman Brothers der letzte Anstoß ist, dem Wildwuchs in der US-Finanzbranche Einhalt zu gebieten. Strengere Regeln und mehr Aufsicht sind das Gebot der Stunde. Wann, wenn nicht jetzt?
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